Elektronische Musik in Mexiko: Es rauscht und klingt und kracht
Eine Schau in Berlin zeigt die Historie der elektronischen Musik in Mexiko – und wie sie sowohl Landes- als auch Zeitgeschichte reflektiert.
Es ist ein denkwürdiger Zeitpunkt, um nach Mexiko zu blicken. Vor wenigen Tagen erst ordnete US-Präsident Donald Trump an, eines seiner Wahlversprechen in die Tat umzusetzen: den Bau einer Mauer zwischen den USA und dem südlichen Nachbarland. Für kommenden Dienstag war eigentlich ein Treffen zwischen Mexikos Präsident Enrique Peña Nieto und Trump angesetzt – Peña Nieto cancelte es, weil ihm Trumps Provokationen in Sachen Mauerbau zu weit gingen. Der Nachbar wird für Mexiko zur Bedrohung. Gleichzeitig kämpft das Land mit eigenen Problemen: Korruption, Drogenkartellen, einer erneuten politischen Krise.
Beim CTM Festival, dem Berliner Festival für experimentelle und elektronische Musik, richtet man nun in einer Begleitausstellung den Fokus auf das lateinamerikanische Land. Das passt nur zu gut, hat aber eigentlich andere Gründe: Schon seit 2014 ist der mexikanische Klangforscher und Kurator Carlos Prieto Acevedo mit dem CTM verbunden.
Damals sprach er in einer Lecture über seine Recherchen zur Geschichte der elektroakustischen wie experimentellen Musik seines Heimatlands. Daraus entstand die Idee zur Ausstellung; das von Kulturinstitutionen und Politik initiierte duale Jahr Mexiko-Deutschland ermöglichte sie.
„Critical Constellations of the Audio-Machine in Mexico“, so der Titel der Schau, visualisiert Acevedos Forschungen. Acevedo fächert damit nicht nur Klangkunst chronologisch auf – Sound und Musik sind bei ihm Ausdruck ihrer Zeit und stehen für gesellschaftliche Entwicklungen: „Ich habe herausgefunden, dass ich durch Sound etwas anders lesen kann“, sagt er. „Ich kann damit politische Realitäten und ontologische Dimensionen von Gesellschaften erforschen und Geschichte neu erzählen.“
Konkrete Wandpoesie
Das zu tun, ist der Anspruch der Ausstellung. Acevedo arbeitet mit Sound, aber nicht nur auditiv. Zwar rauscht und klingt und kracht es tatsächlich in allen Räumen des Künstlerquartiers Bethanien, viele Arbeiten bilden den Klang jedoch auch visuell ab. „Pocos cocodrilos locos“ steht da zum Beispiel in großen Buchstaben an der Wand – ein konkretes Gedicht von Mathias Goeritz aus dem Jahr 1967. In einem anderen Raum laufen zwei Videos von Zügen – Sinnbilder für die Industrialisierung und dem damit in Mexiko verbundenen Boom der Eisenbahn.
Acevedo benutzt Metaphern, um das Auf und Ab in der Geschichte Mexikos seit Beginn des 20. Jahrhunderts zu beschreiben. Sie stehen für nationalistische, kosmopolitische wie postnationale Tendenzen. Indiofuturismus hat er eine davon genannt. Sie ist beeinflusst von der Arbeit des mexikanischen Musikpädagogen Carlos Chávez, dessen Kompositionen von indigener Musik und starken Rhythmen geprägt sind.
Das Festival: Das CTM Festival – im Untertitel „Festival for Adventurous Music and Art“ – hat am Freitag in Berlin begonnen und geht noch bis zum 5. Februar
Die Musik: Mehr als 150 Musikerinnen und Musiker treten auf, darunter Jenny Hval, Genesis Breyer P-Orridge, Tommy Genesis und Pharmakon
Das Thema: Themenschwerpunkt 2017 ist Mexiko. Beim Festival treten mexikanische Künstler wie Liminar und José Manuel Alcántara auf. Die besprochene Ausstellung „Critical Constellations of the Audio-Machine in Mexico“ ist noch bis zum 19. März im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien in Berlin zu sehen. Das gesamte Festivalprogramm unter: ctm-festival.de
Zeitgenössische Positionen erzählen indes von der politischen Realität des Landes. Soundkünstler Mario de Vega präsentiert unter anderem die Dokumentation einer Arbeit aus dem Jahr 2007. Damals inszenierte er im Garten des Museums El Eco in Mexico City eine Explosion, die die Presse zunächst als terroristischen Akt beschrieb. De Vega kam vor Gericht; die Fotografien von der Aktion zu zeigen, verbot man ihm. Hier zeigt er sie nun erstmals – stille Bilder, die im Kopf nachhallen. Das ist, was de Vega interessiert: Wie sich Sound materialisiert, wie er sich ausweitet und dann andere Formen annimmt.
Gegen Zäune hämmern
Der Klangkünstler Félix Blume geht dem Ursprung des Klangs auf den Grund. Er hat ein Stück eines metallenen Schutzzauns aus Mexiko nach Berlin transportiert. Im Jahr 2013 war es vor dem Senatsgebäude in Mexico City aufgebaut und sollte dort Demonstranten zurückhalten, die gegen eine Verfassungsänderung protestierten – es ging damals um Privatisierung im Energiesektor.
Wütende Mexikaner hämmerten gegen den Zaun, eine theatralische Geste, die erfolglos blieb. Das Gesetz wurde trotzdem verabschiedet. Mit einem Kontaktmikrofon hatte Blume das Hämmern und Klopfen damals aufgenommen. Jetzt lässt er den Schall den umgekehrten Weg gehen, überträgt ihn wieder auf das Objekt und nutzt das Metall als Resonanzkörper.
Arbeiten wie die von de Vega und Blume lesen sich wie ein Verweis auf das Motto des diesjährigen CTM Festivals: „Fear Anger Love“. Die Angst vor dem Terror, mit dem de Vega spielt. Die Wut, die Blume dokumentiert. Und die Liebe? „Mexiko ist ein Land, das die Energie hat, sich jederzeit neu zu erfinden“, sagt Carlos Prieto Acevedo. Es braucht viel Liebe, um daran immer wieder zu glauben.
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