piwik no script img

ElektroDer Moserer und die Mäuse

Jörg Sundermeier
Kommentar von Jörg Sundermeier

Mark E. Smith und Mouse on Mars nennen sich Von Südenfed. Und ganz nebenbei heben sie den Gegensatz zwischen Rock und Electro auf.

Chef Mark E. Smith (rechts)und die Marsmäuse Bild: Promo

A llein schon der Bandname! Von Südenfed! Das kann kein Engländer aussprechen, auch den Russen wird es schwerfallen, vermutlich auch den Chinesen. Lustigerweise fällt es aber auch den Deutschen schwer. Dabei soll es ein deutscher Name sein. Und er wird vermutlich auch überall als deutscher Name erkannt werden. Wegen des merkwürdigen Umlautes. Allein schon der Albumtitel: "Tromatic Reflexxions"! Allein schon der Titel der ersten Single, "Fledermaus cant get enough"! Wie bescheuert ist das denn? Was will eine Band mit solchen Titeln erreichen? Zu vermuten ist: nichts Bestimmtes. Dennoch machen diese komischen Wortbildungen einen Eindruck. Allein darum scheint es der Band zu gehen.

Allein schon das Video zur ersten Single! Drei wunderschöne Tunten oder Tuntendarsteller mit viel Schminke und Bart singen Playback und tanzen zu dem Stück "Fledermaus cant get enough", das ein ziemlich mitreißender Stampfer ist. Dabei klimpern sie aufs Aufreizendste mit den Augen und blecken die Zähne, denn sie haben ein Problem: der Sänger, dessen Worte sie nachsingen sollen, lallt, er schimpft, bellt und hustet die Worte hinaus, und vieles ist einfach völlig unverständlich. Singt er "I cant get enough, cause I cant get it" oder singt er "I cant get enough, but I can get it" oder singt er "I cant it know, but I can get it"? Die Playbacksänger entscheiden sich für ein entschlossenes Verlallen und für dramatisches Münderverziehen.

Und schließlich: Allein schon diese Band! Sie wird gebildet von Jan St. Werner und Andi Toma, die normalerweise als das Duo Mouse on Mars auftreten, und von Mark E. Smith, der vermutlich mehr Bandmitglieder aus seiner Band The Fall hinausgeworfen hat, als er je Hemden besaß. Eine Supergroup sei Von Südenfed, so jedenfalls wird überall annonciert.

Und sie ist tatsächlich eine Supergroup. Mouse on Mars beweisen seit Jahren in ihren Liveshows, dass sie keine Lust haben, als Superschlaumäuse zu gelten, sondern dass es ihnen um die Party geht. Die rohe Schönheit eines satten, deepen Bassgewummers ziehen sie der fragilen Steifheit der musikalischen Frickelkunst allemal vor. Seit einigen Jahren auch zunehmend auf ihren Alben, die längst nicht mehr beweisen sollen, dass St. Werner und Toma mal was Tolles gelesen haben und eine exquisite Soundkollektion auf ihren Laptop geladen haben.

Bei Von Südenfed nun, wo sie ganz allein für die Musik verantwortlich zeichnen - während Mark E. Smith als Texter firmiert -, wurden sie von ihrem Sänger, dieser merkwürdigen, unlängst 50 Jahre alt gewordenen Rampensau, jedoch zu noch weiteren Einschränkungen gezwungen. Der Sänger, der auch den Mitgliedern seiner Fall-Bands in einem engen Rahmen die größtmögliche Freiheit lässt, sofern nur am Ende etwas anderes als Pop herauskommt, hat, so berichten Toma und St. Werner in Interviews, die beiden, während sie an den Sounds arbeiteten, öfter mal mit der Aussage überrascht, dass es jetzt gut sei. Mittendrin, im Arbeitsprozess. Einfach so. Und dann war es auch gut.

Die logische Folge: Überproduziert ist "Tromatic Reflexxions" bestimmt nicht. Aber es ist auch nicht zu wenig gemacht worden: Der Sound ist satt, der Beat fett, die Melodien sind ansprechend. Von Südenfed haben eine Platte gemacht, die noch vor wenigen Jahren wohl unter Big Beat eingeordnet worden wäre. Eine derbe Partymusik mit Anklängen an den Sound eines Fatboy Slim. Dann aber wieder wird zur guten alten Gitarre, tja, hm, sagen wir mal: gebrüllt. Arbeiterklasseseidank klingt das Album zugleich wie ein weiteres Album der Band The Fall. Mark E. Smith hat fast allen großen Bands, für die er je als Gastsänger fungierte, jeweils eine Art nichtoffizielles Fall-Stück abgerungen, einzig Long Fin Killie und Prefab Sprout gelang es, den Sänger in ihr Soundnetz einzufangen.

Mouse on Mars nun sind dem Mythos Mark E. Smith offensichtlich in vielerlei Hinsicht erlegen, die Platte - die kein Einzelstück bleiben soll - ist sogar aufgebaut wie eine Fall-Platte. Es gibt ein Fieldrecording-Stück ("Jbak Lois Lane"), das alle, die die Platte so nebenbei weghören wollen, aufschrecken und nerven wird. Es ist gewissermaßen der Hidden Track, der allerdings nicht am Ende der CD versteckt ist, sondern mitten in den Fluss des Wummerns und Bellens hineingelegt wurde. Es gibt das beinahe versöhnliche "Dear Dear Friends", und das zur Gitarre eingesungene "Chicken Yiamas", das am Ende wunderbar wegtickt. Nur die für Fall-Alben so obligatorische Cover-Version sucht man vergebens.

Auch verhält es sich mit dem Aufbau der einzelnen Stücke so, wie es sich mit Fall-Stücken verhält. Ein ziemlich hüftsteifer Beat wird aufgenommen und erbarmungslos über drei, vier Minuten durchgehalten, dazu machen dann Keyboards und Gitarre allerlei Sperenzchen. Wäre diese Platte eine Fall-Platte, wäre sie am besten im Jahr 1997 erschienen, nach dem im Wesentlichen von der damaligen Keyboarderin und Programmiererin Julia Nagle mitgestalteten Fall-Album "Levitate". Dieses war in einer Weise elektronisch, dass es die Rockisten, die The-Fall-Fans normalerweise sind, nachhaltig verstörte. The Fall, die der göttliche Radio-DJ John Peel stets in uneingeschränkter Verehrung für Mark E. Smith, "the migthy Fall" nannte, haben stets eher Tracks als Songs eingespielt. Schon bei der ersten Fall-Platte "Live at the Witch Trials" (1979) zeigte sich, dass der Einfluss von Krautrock und amerikanischen Experimentalrockern auf diese Band mindestens genauso groß war wie der Eindruck, den Punk hinterlassen hatte.

Doch blieb es beim Rock. "Levitate" nun war eines der spannungsreichsten Alben in der Fall-Geschichte, eben weil Smith schon geradezu nachlässig seiner Keyboarderin freie Hand ließ, für einige der Stücke zeichnet sie sogar als alleinige Komponistin, während sonst fast immer auch Smith als Komponist mitgenannt werden will. Wäre die Band von diesem Album aus nicht wieder zurück zum Rock gekommen, und hätte sie nicht wenig später, aber nach diversen Bandumstellungen im Jahre 2001 das ziemlich elende Album "Are You Are Missing Winner" veröffentlicht, auf dem sich die Band schon beinahe in Richtung Schweinerock verirrte, wäre wohl "Tromatic Reflexxions" auch als Fall-Album möglich gewesen. So aber hat sich, wieder nach diversen Bandumstellungen, The Fall in den letzten Jahren als beinahe stoische Superrockgruppe neu erfunden, während Von Südenfed nun wohl das elektronische Arbeitsfeld von Mark E. Smith darstellt.

Es ist also nicht so, wie man zunächst vermuten sollte, dass mit The Fall und Mouse on Mars Gegensätze aufeinandertreffen. Vielmehr haben sich hier zwei gleichgesinnte Parteien getroffen. Denn man täte Toma und St. Werner unrecht, würde man sagen, diese Platte ist einzig und allein vom Willen des sehr verehrten Meisters geprägt. Smith gilt als Misanthrop, ist aber wohl eher ein Zyniker und als solcher heimlich melancholisch. Er besteht auf seine Arbeiterklassenherkunft, hasst Rechte wie Linke und bleibt mit seinem Gebell und Gelall vor allem unbequem. Ein Musikrezensent schrieb vor einiger Zeit den dummen, aber dennoch wahren Satz: "Ich verstehe die Texte nie, weiß aber immer was er will." Mouse on Mars nun haben den Grantler heiter gestimmt, sie sind ihm, aller Verehrung zum Trotz, offensichtlich auf Augenhöhe begegnet. Die beiden waren schon vorher Stars, und Mark E. Smith kann sie auch nicht feuern. Das scheint ihm zu gefallen. Herausgekommen ist ein Album, das seinesgleichen sucht, und wohl immer dann, wenn in den nächsten Monaten gefeiert werden soll, zu hören ist. Das ist schön.

Von Südenfed: "Tromatic Reflexxions" (Domino/Rough Trade)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Jörg Sundermeier
1970 in Gütersloh geboren, lebt in Berlin. Er betreibt mit Kristine Listau den Verbrecher Verlag (den er 1995 mit Werner Labisch gegründet hat) und ist Autor für diverse Zeitungen und Magazine. Er schrieb mehrere Bücher. Zuletzt „Die Sonnenallee" und „11 Berliner Friedhöfe, die man gesehen haben muss, bevor man stirbt".
Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!