Elbvertiefung in Gefahr: Nein aus Niedersachsen droht
Die Kritik im Landtag von Hannover häuft sich vor der Sitzung des Umweltausschusses. Regierungschef McAllister will sich von Hamburg nicht unter Druck setzen lassen.
HAMBURG taz | So einfach wird es nichts werden mit der Elbvertiefung. In Niedersachsen häufen sich die ablehnenden Stimmen zu dem Projekt, das am Montag Thema einer Anhörung im Umweltausschuss des Landtages ist. Auch Ministerpräsident David McAllister (CDU) äußert sich reserviert: "Die Deichsicherheit muss auf der ganzen Länge zwischen Cuxhaven bis zur Landesgrenze nach Hamburg garantiert sein. Ohne Deichsicherheit gibt es keine Zustimmung aus Niedersachsen", stellt er in einem Interview mit der Nordsee-Zeitung (NZ) klar.
Außerdem müsse garantiert sein, dass die Obstanbauflächen im Alten Land nicht durch zusätzliches Nordseewasser versalzt würden. Gutachter hatten ermittelt, dass die Brackwassergrenze sich um 1,9 bis sogar 13 Kilometer in Richtung Hamburg verschieben könnte. "Das wäre ein großes Problem für die Obstbauern", so McAllister: "Diese Frage ist neben der Deichsicherheit eine entscheidende."
Die Landesregierung müsse ihre Zustimmung zur geplanten Elbvertiefung "versagen, wenn der Schutz der Deiche zu den prioritären Interessen Niedersachsens gehört", fordert deshalb die grüne Hafenpolitikerin Elke Twesten aus dem nordniedersächsischen Scheeßel. Entsprechende Anträge von SPD und Grünen liegen am Montag dem Umweltausschuss zusammen mit etwa 20 Stellungnahmen von Verbänden, Landkreisen, Umweltgutachtern und weiteren Interessengruppen vor. Erwartet wird, dass der Ausschuss der Landesregierung eine "Empfehlung" vorlegt. "Und die kann aus unserer Sicht nur ablehnend sein", sagt Twesten.
Die jetzt geplante Vertiefung der Unterelbe wäre die neunte seit Beginn des 19. Jahrhunderts. Damals war sie - bezogen auf Normalnull (NN) - etwa vier Meter tief. Die Liste der Ausbaggerungen:
1818 bis 1825: Vertiefung auf 5,4 Meter NN.
1850 bis 1862: Vertiefung auf 6,7 Meter NN.
1909 bis 1910: Vertiefung auf 9,4 Meter NN.
1922 bis 1937: Vertiefung auf 11,4 Meter NN.
1957 bis 1964: Vertiefung auf 12,4 Meter NN.
1964 bis 1969: Vertiefung auf 13,4 Meter NN.
1974 bis 1978: Vertiefung auf 14,9 Meter NN.
1998 bis 1999: Vertiefung auf 16,8 Meter NN.
ab 2012 geplant: Vertiefung auf 19,0 Meter NN.
Die Unterelbe soll auf 120 Kilometern Länge zwischen Cuxhaven und Hamburg zum neunten Mal vertieft werden (siehe Kasten). Zielmarke sind bis zu 19 Meter unter Normalnull, sodass Containerfrachter mit einem Tiefgang bis zu 13,50 Metern den Hafen auch bei Niedrigwasser anlaufen und verlassen können. Ein Tiefgang von 14,50 Metern soll tideabhängig, also bei auflaufendem Wasser, möglich sein.
Die Kosten werden offiziell mit rund 385 Millionen Euro angegeben. Davon soll mit 248 Millionen Euro den größten Teil der Bund tragen, auf Hamburg entfallen 137 Millionen Euro. Kritiker befürchten bis zu 600 Millionen Euro, der Anteil Hamburgs dürfte dann bei rund 200 Millionen Euro liegen.
Die EU-Kommission hatte Anfang Dezember "wegen des überragenden öffentlichen Interesses" eine positive Stellungnahme zu dem Vorhaben abgegeben. Am 30. Dezember hatten Hamburg und die Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nord daraufhin den Entwurf des Planfeststellungsbeschlusses für die Elbvertiefung vorgelegt. Er sei den Nachbarn Niedersachsen und Schleswig-Holstein mit der Bitte um "Einvernehmen" zugeleitet worden, sagt Hamburgs Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos). Er sei zuversichtlich, dass noch in diesem Jahr mit der Ausbaggerung begonnen werden könne.
Da aber will Niedersachsens Regierungschef nicht mitspielen: "Wir lassen uns nicht unter Druck setzen", versichert McAllister im NZ-Interview. Die Frist von drei Monaten für ein Ja oder Nein zur Elbvertiefung wolle er in jedem Fall ausschöpfen. "Und wir werden bei jeder einzelnen Position die niedersächsischen Interessen deutlich machen", kündigt er an - nicht zuletzt deshalb, weil in einem Jahr der Landtag neu gewählt wird und McAllisters Wahlkreis Hadeln bis an die Deiche der Elbe reicht.
Die Unterstützung der Opposition für eine Ablehnung der Elbvertiefung hätte er. "Es ist davon auszugehen, dass mit einer weiteren Ausbaggerung der ökologische Zustand der Elbe verschlechtert wird", befindet SPD-Umweltpolitikerin Brigitte Somfleth. Es habe nie eine Gesamtschau der Schäden stattgefunden, sagt Twesten über die Salamitaktik der Hamburger Hafenlobby: "Es wird immer nur jede einzelne Vertiefung für sich isoliert betrachtet - das darf so nicht weitergehen."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen