Eklat im Fußballstadion: Pöbelplakat gegen Nordfranzosen
Weil Fußballfans von Paris St. Germain im Pokalspiel gegen Lens ein Schmäh-Plakat gegen Nordfranzosen entrollten, muss sich Präsident Sarkozy einschalten.
PARIS taz Über die Chtis, die Bewohner des platten und regenreichen Grenzgebietes zu Belgien, haben die übrigen Franzosen bis vor kurzem vor allem Witze gerissen. Jetzt stehen die Chtis plötzlich im Zentrum des nationalen Geschehens. Dafür sorgen zwei Großereignisse: die Filmkomödie "Bienvenue chez les Chtis", die mit l7 Millionen ZuschauerInnen binnen weniger Wochen sämtliche Kino-Rekorde der letzten Jahrzehnte geschlagen hat - und ein gemeines, 20 Meter langes Spruchband, das Fußballfans am vergangenen Samstag beim Pokalendspiel von Paris St. Germain gegen Racing Club de Lens im Stade de France entfaltet haben: "Pädophil, arbeitslos, inzestuös", stand darauf, "Willkommen bei den Chtis".
Ganz Frankreich hat das Spruchband gesehen. Und sämtliche Autoritäten der Republik - von Sportfunktionären über Minister, Spitzen der Opposition bis hin zum Regierungschef - verurteilen den Eklat im Fußballstadion. Sie sprechen von einem "Aufruf zu Hass und Gewalt" und von "Rassismus". Die Empörung ist lauter als jener Aufschrei, der ertönte, als kürzlich ein aus Marokko stammender Fußballer im Stadion von Metz rassistisch beschimpft wurde.
Gestern Mittag erreicht die nationale Bewegung auch den obersten Franzosen. Nicolas Sarkozy empfing den Bürgermeister der Stadt Lens, aus der die beschimpfte Fußballmannschaft kommt, im Elysée-Palast. Kurz vor der Audienz erklärte der Bürgermeister der Provinzstadt, zugleich Parlamentsabgeordneter der oppositionellen PS und selbst ein Chti, die Vorkommnisse im Fußballstadion seien "schlimmer als die Unruhen in der Banlieue". Guy Delcourt sprach von "subversiven Aktionen", von "einflussreichen Hintermännern", mahnte vor "Netzwerken" und wollte einen "gefährlichen internationalen Kontext" erkannt haben. Er zog sogar eine Parallele zu der "Action Directe", die in den 70er-Jahren den bewaffneten Kampf in Frankreich probte. In seiner Pressekonferenz verlangte er, dass das Fußballspiel vom vergangenen Samstag für ungültig erklärt und neu ausgetragen wird.
Die Justiz rätselt darüber, wie das Spruchband unerkannt ins Stadion gelangen konnte. Gegenwärtig untersuchen Experten den Stoff auf Genspuren. Sie vermuten, dass er in viele Einzelteile zerlegt und direkt auf den Oberkörpern von Fans an den Kontrollen vorbei ins Stadion geschmuggelt wurde. Ihr Hauptverdacht richtet sich gegen die "Boulogne Boys". Diese Hooligan-Gruppierung des PSG ist schon bei anderen Gelegenheiten gewalttätig aufgetreten, unter anderem mit Hitlergruß und rechtsradikalen Parolen. Mindestens 50 Mitglieder der Boulogne Boys sind der Polizei als potenziell gefährlich bekannt.
Die für die Sicherheit des PSG zuständige Truppe "Copp" (Cellule opérationelle du Parc des Princes) hatte laut einem Bericht der Zeitung Libération längst ein Stadionverbot für diese 50 Fans beantragt. Doch umgesetzt wurde es nur in 8 Fällen. Die 42 anderen waren, so das Blatt, am Samstag an der Aktion im Stade de France beteiligt. Ihnen droht jetzt ein Stadionverbot sowie die Auflösung ihrer Gruppe.
Der Bürgermeister von Lens verlangt aber mehr als ein Stadionverbot. Er forderte den Staatspräsidenten auf, mehr Geld für Streetworker bereitzustellen, die rund um die Fußballstadien und in ihrem Inneren für Sicherheit sorgen sollen. Zusammen mit Dutzenden anderer Lokalpolitiker aus Frankreichs Norden soll der Staatspräsident zudem die Ehre der Chtis verteidigen. So sei das nicht gemeint gewesen, sagt jetzt auch Dany Boon, der Regisseur des Erfolgsfilms "Bienvenue chez les Chtis", der selbst Asterix geschlagen hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe