piwik no script img

Eklat bei Ski-WMDas steife Band

Weil Norwegens Skispringer mit manipulierten Anzügen von den WM-Schanzen in Trondheim sprangen, werden ihnen etliche Medaillen aberkannt.

Versteifung in der Hose: Der Norweger Marius Lindvik geht vom Bakken Foto: APA

Als am Samstagabend die Bombe im Materialcontainer des Skista­dions von Trondheim platzte, war die Begeis­terung über die stimmungsvolle Nordische Ski-WM mit mindestens 500.000 Zuschauern Nebensache. Sieben von 13 Goldmedaillen hatte Gastgeber Norwegen in diesen Tagen im Skispringen und der Nordischen Kombination ­gewonnen, über allen schwebt nun ein Manipulationsverdacht. Nachgewiesen ist der Norge-Betrug zumindest für den Großschanzenwettbewerb im Skispringen: Der ursprüngliche Silbergewinner ­Marius Lindvik und Johann André Forfang wurden wegen „Manipulation des Anzugs“ nachträglich disqualifiziert.

„Einige Anzüge hatten etwas Auffälliges. Es war ein anderes Material in der Naht. Das ist ein schwarzer Tag fürs Skispringen“, bestätigte der sichtlich getroffene Sandro Pertile. Der Renndirektor des Internationalen Skiverbands (FIS) hatte gemeinsam mit Materialkontrolleur Christian Kathol die Sprunganzüge der beiden Norweger aufgetrennt.

Es fand sich laut Österreichs Cheftrainer Andreas Widhölzl auf der Beininnenseite vom Knie bis zum Schritt ein verstecktes „steifes Band“. Das sorgt im Flug für mehr Stabilität und Tragfläche, wofür der Anzug „als Segel“ der wichtigste Teil ist. Diese „ganz klare Manipulation“ bringt Weitenvorteile, laut Widhölzl vor allem aber „ein besseres Fluggefühl und Vertrauen“.

„Systemischer Betrug“

Einer wie Marius Lindvik hatte Letzteres in der kompletten Saison ohne Podestplatz nicht. Bei der Heim-WM in Trondheim gewann er plötzlich Gold von der Normalschanze vorm Deutschen Andreas Wellinger und im Mixedteam sowie Bronze mit dem Männerteam. Die von Verletzungsproblemen gebeutelten norwegischen Skispringerinnen räumten neben Mixed- auch Teamgold ab. Und auch die Nordischen Kombinierer des Gastgebers holten vier von sechs möglichen Goldmedaillen.

Im Männer-Teamwettbewerb der Kombinierer am Freitag gewann nur deshalb Deutschland seine einzige WM-Goldmedaille in Trondheim, weil Jørgen Graabak wegen Betrugs disqualifiziert wurde. Bei ihm ging es nicht um den Anzug, sondern die Skibindungen waren nicht wie vorgeschrieben symmetrisch auf beiden Latten montiert. Auch das kann Weitenvorteile bringen, weil damit körperliche Besonderheiten ausgeglichen werden können.

Blickt man auf weitere drei Disqualifikationen von Norwegern im Skispringen in diesen WM-Tagen, ergibt sich ähnlich wie beim Dopingskandal um Gastgeber Finnland bei der Nordischen Ski-WM 2001 in Lahti ein klares Bild. „Der Betrug ist systemisch. Das macht mich traurig und wütend“, schimpfte Horst ­Hüttel, deutscher Sportdirektor für Skispringen und Nordische Kombination.

Österreich, Slowenien und Polen forderten deshalb in einem offiziellen Protest bei der FIS die nachträgliche Dis­qualifikation aller norwegischen Skispringer der WM. Das würde Deutschland nicht nur Gold für Skispringer Wellinger von der Normalschanze und Doppelgold für Kombinierer ­Vinzenz ­Geiger in den Einzeldisziplinen bescheren, sondern auch noch drei ­zusätzliche ­­Medaillen im Skispringen.

Deutschland, das eine eigene Protestnote an die FIS sendete, mochte sich der Forderung nach der Streichung aller Norweger aus den Ergebnislisten trotzdem nicht anschließen. „Das ist rechtlich nicht möglich. Es kommt aus der Dopinggeschichte, dass bei einem Nachweis bei Sportlern nachträglich Wettkämpfe annulliert wurden“, so Hüttel. Er fügte hinzu: „Wir sollten aber bei Tatsachen­entscheidungen bleiben. Wenn jemand manipuliert oder betrügt, sollte er nur für diesen Wettkampf disqualifiziert werden und nicht für andere vorher. Es sei denn, es liegen klare Beweise vor.“

Wie kam es nun zum Nachweis? Ein polnischer Journalist hatte in der Nacht zum Samstag in Agentenmanier mit versteckter Kamera gefilmt, wie im norwegischen Team­hotel Sprunganzüge bearbeitet wurden. Dort mit von der Partie war auch Norwegens Trainer Magnus Brevig, auch das spricht für einen systematischen Materialbetrug. Dass es für ihn eine drakonische Sperre geben könnte, wollte Sandro Pertile nicht bestätigen: „Dafür ist es noch zu früh. Wir müssen in Ruhe die Situation klären. Das ist ein Thema für die ganze Skisprungfamilie, nicht nur für eine Mannschaft.“ Schließlich tobt schon den ganzen Winter ein Materialkrieg bei den Fliegern.

Lesen gegen das Patriarchat

Auf taz.de finden Sie eine unabhängige, progressive Stimme – frei zugänglich, ermöglicht von unserer Community. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!