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Ekelfaszination für Gordon RamsayBurn-out schon vom Zusehen

Wenn sowieso alles egal ist, kann man sich auch die Vorlage zu „Rach, der Restauranttester“ anschauen. Anschreisessions und Katharsis sind inklusive.

Gordon Ramsay in seiner Show „Kitchen Nightmares“, 2009 Foto: 20thCentFox/Everett Collection/imago

W äre 2020 eine Fernsehsendung – und dieser Satzanfang allein ist ja schon wieder viel zu 2020, aber was soll’s –, dann hätte Gordon Ramsay sie moderiert. Das soll nicht heißen, dass der britische TV-Koch zum Davonlaufen wäre, eher dass seine Shows uns mit der ganzen Vielfalt menschlichen Gefühlsquarks konfrontieren, und zwar vor allem mit den abgelaufenen Schüsseln davon.

Deutsches Fernsehpublikum kennt eher die Adaption von Ramsays Shows, die als „Rach, der Restauranttester“ übrigens deutlich ziviler ist. Wer sich dagegen die Originalshows „Hotel Hell“ und „Kitchen Nightmares“ antut (gedreht von 2004 bis 2016, gibt es sie heute auf Youtube zu sehen), muss sich auf ein Stresslevel gefasst machen, das dem Menschen sonst nur in Ansätzen bekannt war, nämlich von den auch nach Corona hoffentlich nie mehr wiederkehrenden Großfußballspielen und Rammdösigkeitsfestivals.

Der Ablauf jeder Folge ist ähnlich: Ramsay wird von hoch verschuldeten Inhaber:innen gerufen, um ihre Läden zu retten. Für einen Messias erstaunlich schlecht gelaunt, betritt er sie am liebsten durch den Hintereingang und meckert dann über unzureichende Beschilderung. Das Essen hält er fast immer für ungenießbar; die Möbel für hässlich, die Zimmer für dreckig.

Mit jeder Minute prasseln immer absurdere Unglücke über den Bildschirm: vom floor manager, dessen Kollege das Essen buchstäblich auf dem Boden zubereitet, über den Vorratskeller voller verrotteter Hummer bis hin zur diarrhöischen Hotelbesitzerin, die sich auf den Flurteppich entleert haben soll. Passiert gerade nichts Schlimmes, laufen hektisch geschnittene Zusammenfassungen der letzten fünf Minuten. Wer nicht schon vom Zusehen Burn-out bekommt, muss als Kind wirklich immer seinen Teller aufgegessen haben.

taz am wochenende

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Eine Anschreisession mit dem Personal leitet zur Katharsis über. Der niemals stillstehende Ramsay versucht mit letzter Kraft, die In­ha­be­r:innen von ihren delusions zu befreien, und schafft das schließlich.

Doch der moralische Impetus ist längst begraben unter all dem gemeinen (und gestellten) Elend, das uns vorher vierzig Minuten lang mit dem neoliberalen Eifer eines self-made millionaire in den Rachen gestopft wurde. Und vielleicht macht das die besondere Ekelfaszination von Ramsays Sendungen aus: Weil dort endlich einmal wirklich alles Böse und Unglamouröse auf den Tisch zu kommen scheint – und danach derart lange verdaut werden muss, dass man ja nicht glauben kann, es werde alles wieder gut.

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Adrian Schulz
Freier Autor
Seit 2015 bei der taz, zunächst als Praktikant, dann als freier Autor und Kolumnist (zurzeit: "Ungenießbar"). Nebenbei Masterstudium der Ästhetik in Frankfurt am Main. Schreibt über Alltag, Medien und Wirklichkeit.
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13 Kommentare

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  • Diese Serie mit Gordon Ramsay entspricht den TV-gesetzen - Krawall bringt Quote. Das betrifft auch die deutschen Pendants im Kommerz-TV. Erschreckend ist aber, ein wichtiger Grund für den Abbruch einer Gastronomie-Lehre, sind die oft diktatorischen und handgreiflichen Zustände in deutschen Küchen - auch bei Spitzenköchen. Bezeichnend in diesen Serien ist, wieviele Leute Restaurants betreiben, ohne jegliche Ausbildung und Fachkenntnisse. Gezeigt werden hygienische Zustände, die zum erbrechen sind.

  • Da lobe ich mir doch die betuliche Küchenschlacht.

    Mit Nelson Müller, dem Teddybär unter den deutschen Spitzköchen, Alfons "Don Alfonso" Schubeck und Mario Kotaska, der unabänderlich "Tschüß mit üß". "Ciao mit ao" und "Tschö mit ö" sagt.

    Er ist auch der Zotenbeauftrage, fällt eine Entscheidung des Jurors knapp aus, das tun sie eigentlich immer, sagt er "das war ein knappes Höschen".

    Heißt eine Kandidatin Ilse, sagt er "Ilse Bilse, keiner will se dann kam der Koch und wollt sie doch".

    Alle anderen Köche sind auf ihre Art auch gut.

    Und so weiter und so fort. Ich liebe das öffentlich-rechtliche Fernsehen.

  • Da vielen Menschen das Fernsehen, und dabei insbesondere das sog. RealtityTV, als Richtungsweisung gilt, muss man sich über die Kommunikationsfähigkeiten dieser Leute bei solchen Formaten nicht wundern.

    Als Hobbykoch habe ich mir auch mal die eine oder andere Rach-Sendung angetan, mehr als 15 min waren mir aber nicht möglich. Einfach zu unterirdisch, das Niveau,

  • Das Thema ist wohl mittlerweile kalter Kaffee und nur noch Trash-Connaisseure suchen auf YT gezielt nach Gordons f*** s*** Tiraden, aber es hat zumindest dieses eine Mal nichts mit Corona, Klima, Systemwechsel und Transformationsprozess zu tun und dafür bin ich Ihnen dankbar.

  • Und jetzt, Herr Schulz, erzähle ich Ihnen eine Hammer-Sensation: so funktioniert scripted reality! Haben Sie erst seit ein paar Wochen eine Glotze?

  • 9G
    90118 (Profil gelöscht)

    vergnüglicher text.

  • jetzt kenne ich endlich den Kerl aus dem meme.

  • War Ihnen so langweilig ? Oder eine"Perle" des Fremdschämfernsehen das erste Mal entdeckt so wie manche jüngere Zeitgenossen, ging und geht mir mit Musik auch immer noch so, etwas Vergangenes für sich entdeckt ? Bin gespannt auf eine Antwort.



    Gordon Ramsay mag ein wirklich guter Koch sein aber der Rest .... .

    • @Waldo:

      Ich kannte diesen Ramsey bis jetzt überhaupt nicht, und habe auch nicht vor, mir seine Sendungen anzusehen. Und trotzdem ich ca. 10.000 Schallplatten zu Hause habe, entdecke ich heute noch mir unbekannte Musik aus den vergangenen Jahrzehnten.

      Macht mich das verdächtig? Oder Sie, weil Sie Ramsey wohl ganz gut kennen?

      • @Carl Fischer:

        In keiner Weise macht es Sie verdächtig. Anscheinend war meine Satzkonstruktion missverständlich.



        1. Wäre ich dankbar wenn solche Scripted Reality / Fremd-schämsendungen im Nirvana der Daten dem Vergessen anheim fallen würden. Leider nicht passiert.



        2. Kann aber verstehen wenn jemand etwas wie beispielsweise diese Sendungen für sich entdeckt.

        Es ist schön für Sie das ihre Plattensammlung ca 10k Vinyl umfasst. Aus eigener Erfahrung ,ca 1k CDs plus 350 Vinyl plus 350GB Flac / HQmp3 ,weiß ich das man da regelmäßig auch überrascht wird was da so alles da ist.

    • 0G
      08630 (Profil gelöscht)
      @Waldo:

      Also, gute KöchInnen gibt wie Sand am Meer. Wer interessiert sich da schon für einen Gordon Ramsay?

      • @08630 (Profil gelöscht):

        Anscheinend Adrian Schulz.