Eiskunstlauf-EM in Litauen: Die Bedeutung des Ausdrucks
Im europäischen Eiskunstlauf dominieren mittlerweile Sportlerinnen, die Persönlichkeit und ein Thema haben, das sie überzeugend interpretieren.
Loena Hendrickx heißt die neue Europameisterin im Eiskunstlauf. Die 24-Jährige wurde in der Geschichte des Eiskunstlaufens die erste Belgierin, der dies gelang. Zwar dominiert Hendrickx schon länger die europäische Eislaufszene, doch bei der letztjährigen EM kam sie mit der Favoritinnenrolle nicht zurecht, die Nerven hatten sie im Stich gelassen.
Hendrickx überzeugte die Preisrichter und die 15.000 begeisterten Zuschauer im litauischen Kaunas mit hohen Dreifachsprüngen, fantastischen choreografischen Ideen, vor allem aber mit selbstbewusst und ausdrucksstark interpretierten modernen Programmen.
Das belgische Wunder komplettierte die 17-jährige Nina Pinzarrone, die Bronze holte. Dabei könnten die beiden Belgierinnen kaum unterschiedlicher laufen: Hendrickx setzt ihre kraftvollen Sprünge wie dicke Ausrufezeichen auf das Eis, flirtet mit den Preisrichtern und freut sich überschwänglich über die gelungenen Programme. Pinzarrone hingegen tupft ihren Schlittschuh sanft über die Eisfläche, zeichnet ein Gesamtkunstwerk, in dem die technisch hochwertigen Sprünge sich ein wenig in der Choreografie verstecken. Sie brilliert mit wunderschönen Pirouetten.
Silber ging an die Vorjahressiegerin Anastasiia Gubanova aus Georgien, die die technisch hochwertigste Kür gefühlvoll lief, aber im Kurzprogramm und im Ausdrucksvermögen viele Punkte liegen ließ.
Seit die Russinnen wegen des Angriffskrieges ihres Landes gegen die Ukraine nicht mehr teilnehmen, gibt es in Europa keine Frau, die Vierfachsprünge oder einen dreifachen Axel springt, bei dem man sich dreieinhalbmal in der Luft um die eigene Körperachse dreht. Das mag für die Preisrichter ein Grund sein, nicht ganz so hohe Wertungen zu geben.
Doch die Zuschauer in Kaunas dürften diese Höchstschwierigkeiten, die fast nur ganz junge und spindeldünne Mädchen auf das Eis zaubern können, kaum vermisst haben. Während der EM lag Litauens Tag der Befreiung von der Sowjetunion. Die 15.000 Besucher schwenkten Fahnen und sangen die Hymne.
Zuspruch bekamen neben den Läuferinnen aus den baltischen Staaten vor allem solche, die Mut zu eigenem Stil hatten und ein Thema mit ihrer ganzen Persönlichkeit, Emotionen, unverwechselbarem individuellen Ausdruck und möglichst wenigen Fehlern liefen. Die deutsche Meisterin Kristina Isaev lief hingegen sehr verhalten und nicht fehlerfrei. In Sachen Ausdruck hat sie noch Reserven.
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