Eishockeyteam aus Süd- und Nordkorea: Tränenreiches Ende eines Rührstücks
Das vereinigte koreanische Eishockeyteam verabschiedet sich von Olympia. Ein denkwürdiges Experiment, das wohl kaum politische Folgen haben wird.
Murray hatte all die Olympiatage sehr ernst und fast ein bisschen traurig gewirkt, mit ihrem strengen Pferdeschwanz und dem schwarzen Sakko über dem türkisen Business-Hemd, der Uniform des Eishockeytrainers, wie sie das von ihrem Vater kennt, einem ehemaligen NHL-Coach. Gerade mal 29 ist sie, den Trainerjob hat sie quasi im Blut. Aber diese letzten Wochen, das war mehr als ein Trainerjob.
Was war da bloß auf die Amerikanerin eingeprasselt. Vier Jahre hatte sie ein koreanisches Frauen-Eishockeyteam auf Olympische Spiele vorbereitet, das war ihr Auftrag, weit unter dem Radar der Öffentlichkeit. Dann verkündete Nordkoreas Diktator Kim Jong Un einen U-Turn in seiner Olympiapolitik, die Funktionäre holten Pläne eines gemeinsamen Frauenteams aus der Schublade. Zehn Tage vor Olympia bekam sie zwölf neue Spielerinnen aus diesem seltsamen Land, das es mit Atomwaffen hat.
„Die Politiker haben eine Entscheidung getroffen“, sagte Murray nun, als alles vorbei war: „Wir waren diejenigen, die sie funktionieren ließen.“ Ihre Tränen nach diesem 1:6 gegen Schweden, der fünften Niederlage im fünften Spiel – sie hatten nichts mit Trauer zu tun, sondern mit Erleichterung, Rührung und Stolz. Natürlich hätten ihre Spielerinnen „den Druck von Medien und Regierungen“ gespürt, erklärte die Trainerin. Und es sei „tough“ gewesen, sich in so kurzer Zeit aufeinander einzustellen.
Murray hatte die Idee zunächst kritisch bewertet, und sie räumte auch jetzt noch einmal ein, dass sie sich das alles so nicht hätte vorstellen können. Sie war alles andere als ein Claqueur der Funktionäre, und so hat es mehr Gewicht, wenn jemand wie sie auf die Frage nach ihren denkwürdigsten Erinnerung an Olympia die neuen Freundschaften im Team nennt und sagt: „Der Sport reißt Barrieren ein.“
Nach dem Training zuletzt, da habe sie beobachtet, wie acht Spielerinnen aus dem Norden und fünf aus dem Süden zusammen dablieben, sich umarmten, Fotos machten. Auch andere Stimmen aus dem Team legen nahe, dass es tatsächlich immer besser gelaufen ist. Sogar mit den englischen Fachbegriffen, die den Nordkoreanerinnen anfangs noch so viele Probleme machten. „Ich hörte sie erstmals Dinge sagen wie Lineshift (Wechsel) oder Faceoff (Bully),“, hatte die US-Koreanerin Randi Heeso Griffin schon nach dem dritten Spiel gegen Japan berichtet. Ansonsten rede man halt so über alles, Jungs zum Beispiel.
Schwierig, in Kontakt zu bleiben
Das Kwandong Hockey Center in Gangneung wurde am Dienstag ein letztes Mal zur Bühne koreanischer Einheitsdemonstrationen. Die nordkoreanischen Propaganda-Cheerleader hatten sich nicht blicken lassen, sehr zur Freude von Griffin, die ihnen noch hinterherrief: „Großartig, dass die Fans heute wirklich für uns gebrüllt haben, dass sie an uns und an Eishockey interessiert waren.“
Aber auch Teile des südkoreanischen Anhangs waren orchestriert. Vor dem Stadion verteilte die Organisation „15. Juni“ koreanische Einheitsfahnen. Drinnen sorgten Einpeitscher der Gruppe dafür, dass sie auch entsprechend gewedelt wurden. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sich allenfalls die Hälfte der Zuschauer eine Flagge in die Hand drücken lassen wollte. Und vor allem, dass noch lange nicht von einem neuen 15. Juni 2000 gesprochen werden kann.
Damals verkündeten die Staatschefs beider Koreas eine Erklärung über Zusammenarbeit und Dialog, die Südkoreas Staatschef Kim Dae Jung den Friedensnobelpreis einbrachte. Doch alle damals erreichten Fortschritte haben sich in den letzten Jahren erledigt – und Südkoreas Präsident Moon ließ dieser Tage durchblicken, dass noch einiges passieren müsse, bevor er die von Kim Jong Uns Schwester zu Anfang der Spiele überbrachte Einladung nach Pjöngjang annehmen könne.
Wenn die Nordkoreanerinnen in ein paar Tagen zurückkehren, werden sie ihre für das Turnier erhaltenen Schläger vorher zurückgeben müssen – wegen der Sanktionen. Und wenn sich die neuen Freundinnen gegenseitig etwas erzählen wollen, wird das nicht möglich sein. „Ich weiß, dass sie kein Facebook haben, von daher wird es schwer, in Kontakt zu bleiben“, sagte Griffin. Telefon oder E-Mail haben sie auch nicht.
Eishockey-Weltverbandspräsident Rene Fasel spekulierte zwar über ein erneute Teamvereinigung 2022 in Peking, doch sportlich dürften sich die Koreanerinnen kaum für die Spiele qualifizieren. Murray wiederum „ist sich nicht sicher“, was die Zukunft bringt, hofft aber, dass „wir den Kontakt halten und uns für Testspiele begegnen. Wir haben sie wirklich lieb gewonnen. Es wird ein schwerer Abschied für alle“, so die Amerikanerin, die ihren Spielerinnen vor dem letzten Match gesagt hatte, dass „sie enorm stolz auf sich sein können“. Und dass sie jetzt rausgehen sollten und genießen, denn: „Womöglich werdet ihr nie wieder miteinander spielen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht macht BND für Irrtum verantwortlich
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Kretschmer als MP von Linkes Gnaden
Neuwahlen hätten der Demokratie weniger geschadet
Fragestunde mit Wladimir Putin
Ein Krieg aus Langeweile?
Studie zum Tempolimit
Es könnte so einfach sein