: Eiserner Partnertausch
Als blinde Triathletin ist Regina Vollbrecht auf die Hilfe ihres Mannes angewiesen. Doch auch dass der diesmal auf der Strecke blieb, konnte die 25-jährige Berlinerin nicht vom Finishen abhalten
aus Roth FRANK KETTERER
Harald Vollbrecht stand im Zielraum am Marktplatz und wartete. Er trug zwei Cola-Becher in seinen Händen sowie einen bangen Blick, und hin und wieder schüttelte er dazu den Kopf, weil doch manches an diesem langen Tag anders gekommen war, als er und seine Frau Regina das geplant hatten für den Challenge-Triathlon in Roth. Gemeinsam war das Ehepaar aus Berlin am frühen Morgen in die frischen Fluten des Main-Donau-Kanals gestiegen, gemeinsam wollten sie die 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 km Rad fahren und den abschließenden Marathonlauf überstehen, um schließlich irgendwann am Abend den Zielstrich zu überqueren – Hand in Hand, weil Regina die führende Hand ihres Haralds nun mal braucht, sie kann ja nicht sehen.
Doch dann sind die Krämpfe in der Magengegend gekommen, überfallartig und irgendwo bei Radkilometer 120. „Auf einmal war mir nur noch übel“, sagt Harald Vollbrecht, sogar übergeben musste er sich, was vorkommen kann bei so einer Tortur und gar nicht so selten ist. Zwar fuhr das eiserne Paar vom Berliner Blindensportverein die restlichen 60 Kilometer auf seinem Tandem noch gemeinsam zu Ende, dann aber war Schluss, zumindest für Harald Vollbrecht. Einen Marathon würde er an diesem Tag nicht mehr durchstehen können, so viel stand fest; und für einen kurzen Moment war damit auch die Mission von Regina gefährdet. Wie sollte sie, eine Blinde, alleine laufen können, die ganzen 42,195 Kilometer?
Für Regina Vollbrecht war es nie eine Frage, dass sie versuchen würde, ins Ziel zu kommen, auch ohne ihren Mann. „Harald hat sich für mich bis zum Ende der Radstrecke gequält“, erzählt sie, nun würde sie hier nicht aufgeben, nie und nimmer, Triathleten sind so. Also lief Regina Vollbrecht die ersten drei Kilometer mit einem Mädchen aus der Wechselzone, dann begleitete sie ein Freund aus Dresden, der am Rand der Strecke wartete, in der Zwischenzeit hatten die Veranstalter im Zielbereich via Lautsprecher nach einem weiteren Begleiter gefahndet – und schließlich Rüdiger Kunzfeld aus dem benachbarten Allersberg gefunden. Der Hobby-Marathonläufer war als Zuschauer nach Roth gekommen, nun wurde er im Handumdrehen Teilnehmer. Kunzfeld tauschte die Jeans gegen die zweite Laufhose von Harald, dann wurde er von einem Wettkampfrichter per Motorrad auf die Laufstrecke gefahren und dort bei Kilometer 17 per Schnürsenkel mit Regina Vollbrecht verbunden. Die restlichen 25 Kilometer liefen die beiden gemeinsam und nebeneinander – bis ins Ziel, wo nicht nur Harald Vollbrecht das Paar erwartete, sondern auch die rund 20.000 Zuschauer auf der Tribüne, die den beiden einen würdigen und begeisterten Empfang bereiteten. Die Finisher-Medaille bekam die 25-Jährige von Lothar Leder, dem Sieger des Männerrennens, persönlich umgehängt, selbst das Fernsehen wartete für ein Interview. Regina Vollbrecht war in diesem Moment ein Star und die Geschichte ihres Rennens in aller Munde, es ist ja auch ein wunderbare.
Normalerweise werden die sportlichen Leistungen der Berlinerin nicht so sehr bewundert, obwohl sie durchaus beachtlich sind. Erst im September letzten Jahres lief Vollbrecht den Berlin-Marathon in 3:57 Stunden, was seitdem als deutscher Rekord gilt, zweieinhalb Monate zuvor war die Sozialarbeiterin erstmals in Roth gestartet, rund dreizehneinviertel Stunden hatte sie damals gebraucht. Diesmal blieb die Uhr bei 13:00:57 Stunden stehen, was eine fantastische neue Bestzeit ist, auch wenn Vollbrecht ihr Ziel, unter der 13-Stunden-Marke zu bleiben, damit knapp verpasst hat. Vielleicht hat ihr ihr Harald beim Laufen ja doch ein bisschen gefehlt.
Denn ganz einfach ist das für einen Ungeübten natürlich nicht, eine Blinde zu führen. Die Schnur zwischen den Handgelenken muss immer straff geführt sein, an Streckenpassagen, an denen es lauter zugeht und Regina Vollbrecht ihren Begleiter somit nicht mehr hören kann, will die Läuferin zudem fest an die Hand genommen werden. Sie fühlt sich dann sicherer. Nicht dass Rüdiger Kunzfeld das nicht prima gemacht hätte, aber zusammen mit ihrem Ehemann Harald bildet Regina Vollbrecht eben doch ein eingespieltes Team, schließlich trainieren die beiden annähernd täglich miteinander: Dienstags stehen mindestens 20 km Laufen an, mittwochs zwei Kilometer Schwimmen, donnerstags wird rund 100 km auf dem Tandem geradelt, freitags noch mal gelaufen, am Wochenende wiederum steht Wechseltraining auf dem Programm. Triathlon ist eine trainingsintensive Sportart, durch die Behinderung wird sie nicht einfacher.
Regina Vollbrecht will deshalb ein wenig kürzer treten mit der dreigeteilten Schinderei, ganz ohne Sport wird es aber auch nach Roth nicht gehen. Das nächste Ziel hat sich die 25-Jährige jedenfalls schon ausgeschaut: „In zwei Jahren würde ich gerne bei den Paralympics über die fünf Kilometer starten“, sagt sie.
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