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Einzelhandel boomt nach WeihnachtenKaufrausch bleibt beliebte Droge

Im Einzelhandel ist von der drohenden Rezession nichts zu spüren - auch nach Weihnachten nicht. Am Wochenende waren viele Geschäfte voll, vor allem teure Waren wie Schmuck und Uhren sind gefragt.

Vor Weihnachten? Nach Weihnachten? Ein Blick in ein Berliner Kaufhaus hilft kaum weiter, um diese Frage zu beantworten. Bild: REUTERS

Juliane Schulz zieht ein langes Gesicht. Die 30-Jährige ist am Sonntag extra mit ihrem Freund zum Einkaufstempel Alexa in Mitte gefahren, um ihr Geldgeschenk einzulösen - und dann haben die Läden zu. "Ich wollte ein schönes Schmuckstück, ich hatte mich echt schon gefreut", sagt sie. In der Radiowerbung habe es geheißen, es sei noch einmal verkaufsoffener Sonntag.

Ähnlich wie Schulz ging es zahlreichen Flaneuren auf den drei Geschossen des Einkaufszentrums: Mehr als gucken war nicht drin. Denn der Sonntag war zwar verkaufsoffen, allerdings nahmen nicht alle Geschäfte und Zentren teil. Die Potsdamer Platz Arkaden, Kaufhof am Alex und das Alexa etwa hatten geschlossen. Das Steglitzer Schloss, die Wilmersdorfer Arkaden und Karstadt am Hermannplatz hatten geöffnet, aber auch hier kauften die Kunden vor allem am Samstag schon ein.

"Am Sonnabend haben alle sehr, sehr guten Umsatz gemacht", sagte auch Günter Päts, der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Berlin-Brandenburg (HBB). "Insgesamt ist das Wochenende sicher nicht das umsatzstärkste im Dezember gewesen, weil am Sonntag ja nicht alle Geschäfte offen hatten."

Händler und Verkäufer bestätigten derweil die Aussagen des HBB, nach denen die Finanzkrise auch nach den Feiertagen nicht bei den Verbrauchern angekommen zu sein scheint. "Vielleicht kommt das zeitversetzt - im Moment ist jeder noch froh, dass er etwas hat und gibt das auch aus", sagte Dana Gierke. Die Kulturwissenschafts-Studentin aus Frankfurt (Oder) jobbte auf dem Weihnachtsmarkt am Alex; sie verkaufte Dekowaren aus Glas, weiß bestäubte Tannenbäume etwa und Figuren. "Obwohl wir sicher etwas anbieten, was man nicht zum Überleben braucht, wird trotzdem gekauft."

Auch Birgit Proft, Filialleiterin einer Mode-Boutique an den Rathauspassagen, sagte: "Bei uns wird gekauft wie eh und je." Ihr Laden hatte als einziger in der näheren Umgebung am Sonntag geöffnet. "Da kamen Stammkunden, Spaziergänger und ein paar Touristen."

Päts vom HBB machte vier Typen von Nachweihnachts-Shoppern aus: Gäste und besuchende Verwandte, etwa die Tante, die ihrer Nichte Geld geschenkt hat und mit ihr einkaufen geht. Andere tauschen Gutscheine ein oder missliebige Geschenke um. "Viele stocken dann auf, deswegen sind etwa Gutscheine durchaus ein Gewinn für den Einzelhandel", so Päts. Ergänzt würden die Massen durch Familien, die nach den Feiertagen ihre Kühlschränke auffüllten.

Die Rezession ist vielen offenbar noch zu weit entfernt, um sie auf eigenes Handeln zu übertragen. "Klar denken wir schon über die Krise nach, aber mit Weihnachten oder dem Einkaufen hat das erst einmal nichts zu tun", sagte Janine Koch. Auch sie hätte gern im Alexa eingekauft, als Alternative zog sie mit ihrem Freund über den angrenzenden Weihnachtsmarkt und investierte dort in Glühwein. Sparen? Stehe nicht so im Vordergrund, sagte die 16-Jährige.

Päts erklärte, ihn habe das Verbraucherverhalten überrascht. "Ehrlich gesagt hatten wir im Herbst Befürchtungen, dass uns das Weihnachtsgeschäft verhagelt wird - erst die Finanzkrise, dann kamen die Meldungen über die Schwierigkeiten in der Autoindustrie." Zu Beginn der Adventszeit sei der Pessimismus gewichen - bestätigt wird das laut Päts bei einem Blick auf die Juwelier-Branche. "Schmuck und Uhren im hochwertigen Bereich waren absolut gefragt, da wurden zum Teil noch höhere Umsätze erzielt als im Vorjahr." Anscheinend investieren die Berliner nun in Materielles. "Viele denken sich, wer weiß, was das Geld in absehbarer Zeit noch wert ist", sagte Päts.

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