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Einsamkeitsstrategie der BundesregierungArbeit ist auch keine Lösung

Nicole Opitz
Kommentar von Nicole Opitz

Die Bundesregierung hat ihre Strategie gegen Einsamkeit vorgestellt. Darin wird aber das Wesentliche übersehen: unser Fokus auf die Lohnarbeit.

Nach Feierabend Foto: Rupert Oberhäuser/imago

A m Mittwoch hat die Bundesregierung 111 Maßnahmen gegen Einsamkeit beschlossen. Christian Lindner teilte ganz stolz mit, dass er nicht betroffen sei, denn er habe „intensiv gearbeitet“. Dabei ist genau diese Attitüde Teil des Problems. Unsere Gesellschaft ist so sehr auf Leistung im Bereich der Lohnarbeit ausgelegt – es verwundert kaum, dass laut Freizeitmonitor nur jeder fünfte Erwachsene einmal in der Woche Verabredungen mit Freund_innen hat.

Politische Maßnahmen gegen Einsamkeit sollten daher nicht bloß für Parkbänke in der Öffentlichkeit und gemeinsame Singaktionen sorgen. Natürlich kann das helfen. Aber neben einem 40-Stunden-Job bleibt oft kaum noch Zeit für Familie, Hobbys oder Ehrenamt. Für das gute Leben eben. Eines, das einen nicht vereinsamen lässt.

Es bräuchte Maßnahmen, die ermöglichen, dass Menschen sich tatsächlich auseinandersetzen können mit ihren sozialen Kontakten. Denn auch umgeben von Menschen kann man sich einsam fühlen. Den Unterschied macht die Verbindung, die man zu manchen von ihnen aufbaut. Das ist kein Selbstläufer. Denn es ist selten, dass man Menschen findet, zu denen man diese Verbindung spürt. Es braucht viel Zeit, diese Menschen zu finden, eine Beziehung aufzubauen und zu pflegen. Zeit, die viele Menschen nach der Arbeit gar nicht mehr haben.

Besonders auffällig wird das, wenn man sich den Zusammenhang zwischen Armut und Einsamkeit anguckt – noch immer kann nicht jede Person in Deutschland von ihrem Vollzeitjob leben und ist darauf angewiesen, beim Amt aufzustocken. Wer mit solch existentiellen Fragen beschäftigt ist, wird wohl kaum zusätzlich noch Zeit finden, um sich mit der eigenen sozialen Situation zu beschäftigen.

Der Zusammenhang zwischen Armut und Einsamkeit ist längst bewiesen. Würde die Bundesregierung Menschen tatsächlich aus der Einsamkeit holen wollen, könnte sie dort gut ansetzen. Dann müsste sie Geld in die Hand nehmen, um Menschen aus der Armut zu holen. Das ist allerdings teurer als bloße Symptombekämpfung.

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Nicole Opitz
Redakteurin
Seit 2019 bei der taz. Interessiert sich vor allem für Feminismus, Gesundheit & soziale Ungleichheit. BVHK-Journalismuspreis 2023.
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7 Kommentare

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  • Die Folgerung "Armut macht einsam" darf natatürlich nich fehlen. Auch wenn eine Korelation anscheinend nachgewiesen ist, ist das noch keine Kausalität. Die kann auch anders herum gegeben sein: Einsamkeit macht arm. Vielleicht fehlt Menschen, die zu Einsamkeit neigen, einfach auch der Antrieb auf andere zuzugehen, sich auf neues einlassen wollen, mitmachen bzw. mitarbeiten zu wollen, sich zu engagieren, sich zu bemühen? Vielleicht resultiert diese Einsamkeit aus Bequemlichkeit, die dann auch zu Armut führen kann?

  • Einspruch: Nicht Arbeit macht einsam, sondern Arbeitslosigkeit, weil einem ohne Arbeit Kontakte und finanzielle Mittel und Selbstbewusstsein verloren gehen.

    • @Röselchen:

      Das ist so nicht richtig. Der Artikel fängt ja richtig an: wer den ganzen Tag arbeitet, hat schlicht keine Zeit für soziale Kontakte. Das hat aber nicht unbedingt was mit Armut zu tun, das betrifft den Mittelstand genauso.



      Ich bin Familienmediatorin. Wenn ich Paare in der Trennung nach ihrem sozialen Netz frage, kommt da meist nicht viel, gerade bei den Männern. Wer nur alle vierzehn Tage mal Zeit hat, kann Freundschaften nicht pflegen.

    • @Röselchen:

      Das muß nicht zwingend sein. Nur in einer auf Erwerbsarbeit kozentrierten Gesellschaft.

      Ein Gegenbeispiel sind auch Superreiche. Viele sind arbeitlos/gehen keiner (geregelten) Erwerbsarbeit nach und manche strotzen gerade deshalb sogar vor Selbstbewußtsein.

  • Dankeschön, sehr guter Kommentar. Volle Zustimmung.

  • "Noch immer kann nicht jede Person in Deutschland von ihrem Vollzeitjob leben und ist darauf angewiesen, beim Amt aufzustocken." Mir ist der Zusammenhang zum Thema nicht ganz klar (warum soll jemand der aufstocken weniger Kontakt zu anderen Menschen haben, als jemand der das nicht tut?), aber das kann nicht wirklich stimmen. Wer Vollzeit für Mindestlohn arbeitet, ist sicher nicht reich, aber er muss schon einige Kinder zu versorgen haben, um bei seinem Gehalt noch aufstocken zu können (und in dem Fall ist man meist nicht einsam).

  • Bingo! Selbst wenn man sich mit den Kollegen auf der Arbeit gut versteht muss man doch immer eine gewisse Distanz wahren, weil eine zu viel Mischung kann nach hinten losgehen. Und die Arbeit ansich macht Präsenzsrbeit nicht wirklich zum Ersatz für private soziale Kontakte.