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Einsamkeit bei jungen MenschenEine Gefahr auch für die Demokratie

Junge Menschen, die sich einsam fühlen, wenden sich öfter von der Politik ab. Eine bundesweite Aktionswoche gegen Einsamkeit soll aufklären.

Einsame Jugendliche engagieren sich weniger und wenden sich öfter von der Politik ab Foto: Stefan Frank/imago

Es klingt nach einem gewagten Schluss: Einsamkeit kann die Demokratie gefährden. Doch eine neue Studie kommt genau zu diesem Ergebnis. Laut der Untersuchung, die die Bertelsmann Stiftung am Montag vorstellte, neigen vor allem junge Menschen, die sich einsam fühlen, zu Politikverdrossenheit. Demnach wenden sie sich öfter von der Politik ab, weil sie das Gefühl haben, nichts bewirken zu können.

Unter jungen Menschen zwischen 16 und 30 Jahren ist das Gefühl der Einsamkeit dabei weit verbreitet, 45 Prozent von ihnen fühlen sich regelmäßig einsam. Und auch die noch Jüngeren sind davon betroffen: Mehr als jedes fünfte Kind zwischen fünf und elf Jahren fühlt sich zumindest manchmal einsam. Das ergibt eine neue Studie des Deutschen Jugendinstituts (DJI), die ebenfalls am Montag vorgestellt wurde.

Die neue Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, die Einsamkeitsstrategie der Ampelkoalition weiterzuführen. Dabei solle besonders die Forschung zum Thema Einsamkeit im Bereich der Kinder und Jugendlichen gestärkt werden. Am Montag eröffnete Bundesfamilienministerin Karin Prien (CDU) in Berlin dazu die dritte bundesweite Aktionswoche, die auf eine Ini­tia­tive ihrer Vorgängerin Lisa Paus (Grüne) zurückgeht. Die Maßnahme soll für das Thema sensibilisieren und Betroffenen niederschwellige Angebote aufzeigen.

Depression und Angststörungen

Die For­sche­r*in­nen des DJI befragten für ihre Untersuchung Kinder zwischen fünf und elf Jahren. 17 Prozent von ihnen gaben an, sich hin und wieder alleine zu fühlen, 5 Prozent fühlten sich oft oder sehr oft einsam. Besonders von Einsamkeit gefährdet seien dabei Kinder aus Familien mit finanziellen Sorgen und aus Trennungsfamilien. Einsamkeit könne bei Kindern die psychosoziale Entwicklung beeinträchtigen und das Risiko für Depressionen und Angststörungen erhöhen, so die Studienautor*innen.

Einsamkeit beeinträchtigt das Vertrauen junger Menschen in die Demokratie

Nicole Kleeb, Bertelsmann Stiftung

Laut Bertelsmann Stiftung fühlen sich viele jungen Menschen seit der Covidpandemie von Einsamkeit betroffen. Zehn Prozent der 16- bis 30-Jährigen berichten von starker Einsamkeit, weitere 35 Prozent von moderater Einsamkeit. Insbesondere junge Menschen, die nicht erwerbstätig sind, Migrationsgeschichte aufweisen oder ein niedriges Bildungsniveau haben, fühlten sich oft einsam.

Einsamkeit macht Abkehr von der Politik

Diese Einsamkeit führe oft auch zu dem Gefühl, politisch nichts verändern zu können. Einsame junge Menschen würden sich deshalb eher zurückziehen, sich weniger politisch engagieren. 60 Prozent von ihnen glauben, auf allgemeiner Ebene keine politischen Veränderungen erreichen zu können – bei den Nichteinsamen gaben das dagegen 42 Prozent an.

Das Gefühl der Einsamkeit führe bei 63 Prozent der einsamen jungen Menschen zu Unzufriedenheit mit der Demokratie, bei den nicht einsamen jungen Menschen sind 41 Prozent nicht zufrieden mit der Demokratie. Politische Radikalisierung könnte laut Bertelsmann Stiftung die Folge sein.

Einsamkeit beeinträchtigt das Vertrauen junger Menschen in Demokratie und Politik. Das Misstrauen wächst umso stärker, je weniger sie das Gefühl haben, sich einbringen zu können“, erklärte Nicole Kleeb, Expertin der Bertelsmann Stiftung. „Wenn wir junge Menschen nicht verlieren wollen, brauchen wir wirksame, niedrigschwellige Formen politischer Beteiligung.“

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4 Kommentare

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  • Aus meiner Sicht:



    Die Menschen können es sich in unserem Land "leisten" alleine zu leben. Schön, hat aber eben auch die Folge, dass man "alleine lebt".

    Das kann muss aber keine Belastung sein, ist es aber auf jeden Fall, wenn man weder Familie, noch Freunde oder einen Arbeitsplatz hat, an dem man Gemeinschaft und Anerkennugn erleben kann. GAnz zu schweigen von sportlichen Hobbies etc.

    Ggf. war man in der traditionellen Familie besser aufgehoben?

    Genau in diese Lücke stossen die rechten Organisationen. Hier wird Gemeinschaft gepflegt, anerkannt und "befähigt". Ggf. werden Jobs beschafft. Und so "funktioniert" die Organisation besser als der "feindliche, kalte Staat", der "versagt".

    Ich fürchte, manche soziale Untersützung führt geradewegs in die Einsamkeit. Ggf. müssen wir andere Modelle für eine Gesellschaft "Alleinstehender" entwickeln?

  • Wenn Einsamkeit zum Problem wird, brauchen wir reale Orte und Freiräume, wo Menschen gerne zusammenkommen und wo niemand Mitglied eines Vereins werden oder Eintritt bezahlen muss. Gerade für junge Menschen gibt es da Nachholbedarf. Eine einzelne Aktionswoche hilft da nichts.

  • In Zeiten maximaler digitaler Entgrenzung, alles scheint möglich, spüren Menschen, dass diese Vernetzungen, die ja eigentlich Gemeinsamkeiten vorgaukeln, in ihrem eigenen kleinen Dasein meist so nicht funktionieren (können). Denn jeder Einzelne lebt auch in seiner analogen Welt mit seinen Problemen.



    Einsamkeit gehört eigentlich zur Adoleszenz beim Menschen, das Werden eines Individuums basiert - u.a. auch - auf "Differenz" zum anderen. Nur so kann sich ein Selbst bilden.



    Wenn sich diese Gefühle jedoch langfristig einnisten, muss genauer hingeschaut werden.



    In allen Altersgruppen.

  • Ich vermute eher Korrelation statt Kausalität. Warum sind Menschen einsam ? In der heutigen Lage ist es schwer Beziehungen und Freundschaften zu pflegen, wenn so viele junge Menschen kaum Sicherheit empfinden. Damit am Ende des Monats noch Geld da ist, um die hohen Lebenshaltungskosten zu stemen, macht man Überstunden. Der unendliche Berg an Hausarbeit gibt einem dann den Rest. Und wo für die Maloche? Bestimmt nicht um sich Eigentum anzuschaffen oder für eine sichere Altersvorsorge.



    Junge Menschen sind erschöpft. Körperlich und mental, wer hat da noch Zeit für Liebe?



    Und schaut man sich die politische Landschaft in Deutschland an, gibt keiner einem wirklich Hoffnung, dass sich etwas ändern wird.