Einsamkeit bei jungen Menschen: Eine Gefahr auch für die Demokratie
Junge Menschen, die sich einsam fühlen, wenden sich öfter von der Politik ab. Eine bundesweite Aktionswoche gegen Einsamkeit soll aufklären.

Es klingt nach einem gewagten Schluss: Einsamkeit kann die Demokratie gefährden. Doch eine neue Studie kommt genau zu diesem Ergebnis. Laut der Untersuchung, die die Bertelsmann Stiftung am Montag vorstellte, neigen vor allem junge Menschen, die sich einsam fühlen, zu Politikverdrossenheit. Demnach wenden sie sich öfter von der Politik ab, weil sie das Gefühl haben, nichts bewirken zu können.
Unter jungen Menschen zwischen 16 und 30 Jahren ist das Gefühl der Einsamkeit dabei weit verbreitet, 45 Prozent von ihnen fühlen sich regelmäßig einsam. Und auch die noch Jüngeren sind davon betroffen: Mehr als jedes fünfte Kind zwischen fünf und elf Jahren fühlt sich zumindest manchmal einsam. Das ergibt eine neue Studie des Deutschen Jugendinstituts (DJI), die ebenfalls am Montag vorgestellt wurde.
Die neue Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, die Einsamkeitsstrategie der Ampelkoalition weiterzuführen. Dabei solle besonders die Forschung zum Thema Einsamkeit im Bereich der Kinder und Jugendlichen gestärkt werden. Am Montag eröffnete Bundesfamilienministerin Karin Prien (CDU) in Berlin dazu die dritte bundesweite Aktionswoche, die auf eine Initiative ihrer Vorgängerin Lisa Paus (Grüne) zurückgeht. Die Maßnahme soll für das Thema sensibilisieren und Betroffenen niederschwellige Angebote aufzeigen.
Depression und Angststörungen
Die Forscher*innen des DJI befragten für ihre Untersuchung Kinder zwischen fünf und elf Jahren. 17 Prozent von ihnen gaben an, sich hin und wieder alleine zu fühlen, 5 Prozent fühlten sich oft oder sehr oft einsam. Besonders von Einsamkeit gefährdet seien dabei Kinder aus Familien mit finanziellen Sorgen und aus Trennungsfamilien. Einsamkeit könne bei Kindern die psychosoziale Entwicklung beeinträchtigen und das Risiko für Depressionen und Angststörungen erhöhen, so die Studienautor*innen.
Nicole Kleeb, Bertelsmann Stiftung
Laut Bertelsmann Stiftung fühlen sich viele jungen Menschen seit der Covidpandemie von Einsamkeit betroffen. Zehn Prozent der 16- bis 30-Jährigen berichten von starker Einsamkeit, weitere 35 Prozent von moderater Einsamkeit. Insbesondere junge Menschen, die nicht erwerbstätig sind, Migrationsgeschichte aufweisen oder ein niedriges Bildungsniveau haben, fühlten sich oft einsam.
Einsamkeit macht Abkehr von der Politik
Diese Einsamkeit führe oft auch zu dem Gefühl, politisch nichts verändern zu können. Einsame junge Menschen würden sich deshalb eher zurückziehen, sich weniger politisch engagieren. 60 Prozent von ihnen glauben, auf allgemeiner Ebene keine politischen Veränderungen erreichen zu können – bei den Nichteinsamen gaben das dagegen 42 Prozent an.
Das Gefühl der Einsamkeit führe bei 63 Prozent der einsamen jungen Menschen zu Unzufriedenheit mit der Demokratie, bei den nicht einsamen jungen Menschen sind 41 Prozent nicht zufrieden mit der Demokratie. Politische Radikalisierung könnte laut Bertelsmann Stiftung die Folge sein.
„Einsamkeit beeinträchtigt das Vertrauen junger Menschen in Demokratie und Politik. Das Misstrauen wächst umso stärker, je weniger sie das Gefühl haben, sich einbringen zu können“, erklärte Nicole Kleeb, Expertin der Bertelsmann Stiftung. „Wenn wir junge Menschen nicht verlieren wollen, brauchen wir wirksame, niedrigschwellige Formen politischer Beteiligung.“
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