Einkaufen in Berlin: „Der Späti wird zur Ersatzkneipe“
Das Bier ist schön kalt, und man hat immer einen zum Quatschen: Autor Christian Klier hat 250 Berliner Spätkaufläden besucht und ein Buch darüber geschrieben.
taz: Herr Klier, Ihr Lieblings-Späti ist die „Eck-Oase“ in Neukölln. Wie oft sind Sie da?
Christian Klier: Drei-, viermal in der Woche, meistens zum Feierabend, um mir noch eine Kleinigkeit zu besorgen, die ich vergessen habe. Zahnpasta, eine Tafel Schokolade, sonntagvormittags auch mal eine Packung Nudeln mit Tomatensauce. Oder eben ein Bier – im Späti kommt das immer schon kalt aus dem Kühlschrank. Und dazu quatsche ich dann noch ein wenig mit Hasan, dem Betreiber. Während meiner Arbeit an dem Buch haben wir uns ziemlich gut kennengelernt.
Wieso ausgerechnet dieser Späti?
Der ist einfach am nächsten. Rund um meine Wohnung sind zwar noch drei andere, aber die sind sehr klein und nicht so interessant. Zur „Eck-Oase“ gehört noch ein Nebenraum, in den man aber nur über den Späti kommt – eine kleine Kneipe namens „Sultan“.
Christian Klier, Jahrgang 1984, ist Grafikdesigner. Für seine Diplomarbeit dokumentierte er die Spätis Berlins: "Der Späti. Eine Ortsuntersuchung in Berlin", Berlin Story, November 2013, 176 Seiten, 9,95 Euro. christianklier.com
Nicht gerade der typische Spätkauf.
Stimmt, es gibt auch eine kleine Küche, in der Hasan für seine Gäste kocht, eine Toilette und eine Dusche. Dort lässt er auch mal jemanden duschen, wenn in dessen Wohnung das Warmwasser abgestellt wurde. Der Späti übernimmt da manchmal auch die Rolle einer Sozialstation. Typisch ist aber das Warenangebot und das, was die meisten kaufen: Alkohol und Zigaretten.
Klingt zwar naheliegend – aber wieso eigentlich?
Na, der Alkohol ist immer kalt, und Zigaretten kosten überall gleich viel.
Viele Kunden, die Sie für Ihr Buch fotografierten, haben tatsächlich Bier in der Hand. Alles Feierabendbiere?
Der Hauptumsatz wird zwischen 20 Uhr abends und 2 Uhr morgens gemacht. Die meisten machen ihr Bier direkt an der Kasse auf. Ein Engländer sagte mir, das sei für ihn typisch deutsch: Bier sofort im Laden öffnen und trinken.
Aber alles andere ist doch teurer als etwa im Supermarkt.
Schon, aber der Späti wird für viele zur Ersatzkneipe, man verweilt dort, quatscht sich fest, es gibt viel nachbarschaftliche Kommunikation. Ich grüße jetzt dauernd Leute auf der Straße, die ich aus der „Eck-Oase“ kenne. Das hat man eben nicht, wenn man im Supermarkt einkauft.
Der Spätkauf ist ein Relikt aus der DDR. Was haben heutige Spätis noch mit ihren Vorgängern zu tun?
Die von damals haben spätestens um 22 Uhr zugemacht und verkauften mitunter auch Bückware, alles, was rar war, Magazine, Schallplatten, bestimmte Lebensmittel. Ich habe in den sieben Monaten Recherche überall nach einem der alten Läden gesucht, konnte aber keinen mehr finden. Die meisten der 250, die im Buch sind, gibt es seit sieben, acht Jahren. Die heutigen Läden haben mehr von den früheren Tante-Emma-Läden, die aber auch schon um 18 Uhr zumachten. Die Händlerstruktur war ja auch ganz anders.
Inwiefern?
Das waren vor allem ältere Damen. Spätis werden aber vor allem von Männern betrieben. Nachts gibt es auch mal Überfälle oder Stress mit Kunden, darauf haben viele Frauen keine Lust.
Unterscheiden sich die Spätis je nach Bezirk?
Absolut. In Mitte und Prenzlauer Berg sind sie eher schicker, haben oft fast Café-Charakter, alles etwas langweilig. Die interessantesten Geschäftsmodelle gibt es in Neukölln und in Wedding: Das sind dann Kombinationen mit Baumarkt, Galerie oder Reisebüro. Und meistens stellte ich fest, dass das mit den Biografien der Betreiber zu tun hat.
Laut Ihrer Statistik hatten 95 Prozent früher einen anderen Beruf. Ist der Späti Berufung oder Notlösung?
Meistens eine Notlösung. Viele hatten gastronomische Interessen, sich dann aber dagegen entschieden, ein Restaurant aufzumachen. Manche haben frisches Obst und Gemüse, das finde ich super. Daran merkt man, dass die Betreiber Lust haben, ihre eigenen Späti-Konzepte zu entwickeln, sie kümmern sich meist sehr herzlich um ihre Kunden.
Was für ein Typ muss man sein, wenn man so einen 24-Stunden-Laden hat?
Man muss vor allem Lust haben, sich mit den Leuten auseinanderzusetzen. Als Betreiber von so einem Geschäft ist man nun mal das Herz und die Seele des Ladens. Das Persönliche gibt den Spätis ja ihren Charme. Eine der Betreiberinnen sagte auf die Frage, was denn das Besondere an ihrem Laden sei: „Na, icke.“ Es gibt sogar einen in Wedding, der zu Weihnachten jedes Jahr ein kleines Menü kocht für alle, die allein sind. Letztes Jahr gab’s Gulasch, ich habe ihm sogar meinen großen Topf geliehen.
Jetzt steht der nächste Feiertag an. Angenommen, es ist Silvesterabend und ich will noch ein Menü zaubern – was taugt aus dem typischen Späti-Angebot?
Man könnte etwa einen Kartoffeleintopf aus der Dose aufpimpen: Aus Toastbrot, Trockenkräutern und Butter macht man Croutons, dazu gibt’s eine Wursttrilogie aus Wiener Würstchen, gebratener Bifi und Frühstücksfleisch aus dem Ofen. Ich habe das mit zwei Köchen aus Berliner Sternerestaurants mal ausprobiert. Die wollten zuerst nicht glauben, dass das geht. Wir haben dann aus Späti-Zutaten sogar ein 5-Gänge-Menü gekocht.
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