piwik no script img

Einkaufen im KaffComeback von Tante Emma

Dorfläden organisieren sich – und bringen wieder Leben aufs Land. Sie könnten zu einem Katalysator der Ernährungswende werden.

Im Tante-Emma-Laden gibt es weniger Produkte, aber oft ein nettes Gespräch. Foto: dpa

BERLIN taz | Regional ist das neue Bio – derzeit der Trend im Lebensmittelhandel. Die bewusste Ernährung mit Gemüse und Fleisch aus der umliegenden Region hat sich in den Städten längst etabliert, viele Bio-Supermärkte profitieren davon.

In Gestalt von „Dorfläden“ erreicht diese Welle nun auch das flache Land. Eine neue, noch kleine Bewegung: Die Mini-Läden organisieren sich jetzt zunehmend – und bringen Leben aufs Land. Gut zu beobachten derzeit auf der Grünen Woche, der größten Landwirtschaftsmesse der Welt, die noch bis Sonntag in Berlin läuft.

Von den knapp 2.000 Artikeln (25.000 im normalen Supermarkt), die ein Dorfladen auf 100 Quadratmetern vorhält, stammten zwar nur 10 bis 15 Prozent aus der Region, erklärt Wolfgang Gröll vom „Netzwerk Dorfladen“ auf der Grünen Woche: Würste vom Metzger, Brötchen vom Bäcker, Salat vom Bauern.

„Diese Waren haben aber wegen ihrer Frische eine hohe Drehzahl und bringen einen Umsatzanteil von gut 75 Prozent“, sagt der Kaufmann aus Starnberg. Bei guter Qualität könnten auch gehobene Preise verlangt werden – anders als für Kaffeefilter oder Zahnpasta. „Den Kunden ist wichtig zu wissen, von wo die Ware kommt“, bestätigt Michaela Mannel, Geschäftsführerin des Dorfladens im mainfränkischen Hofstätten, der seit 2012 besteht.

Acht Millionen Menschen unterversorgt

Dorfläden hätten das Zeug, zu einem Katalysator der „Ernährungswende“ zu werden – aber noch sind es relativ wenige. Gut 200 soll es in der Republik geben, allein die Hälfte davon in Bayern. 10 wurden allein 2016 neu eröffnet, dieses Jahr soll es 15 neue Lädchen geben. „Wir setzen dabei voll auf das Engagement der Bürger“, beschreibt Gröll den Ansatz des Netzwerks. „Die Läden werden in der Regel von Seiteneinsteigern geführt.“

In den 70er Jahren gab es noch 160.000 Lebensmittelgeschäfte in Deutschland, heute nur noch ein Viertel davon. Vor allem kleinere Orte traf es, hier machten auch Post und Sparkasse, Friseur und Arztpraxis dicht. Das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung in Berlin ermittelte, dass 8 Millionen Menschen in Deutschland einkaufstechnisch „unterversorgt“ sind – sie gelangen nur schwer an Waren des täglichen Bedarfs. Besonders betroffen: „ältere, sozial schwache Menschen und Menschen mit Behinderungen“, so die Studie.

Früher hat sich das Dorf nur auf dem Friedhof getroffen

Frauke Lehrke, Dorfladen-Beirat

Hinzu kommt die Schrumpfung des Sozialraums. „Nachdem bei uns das letzte Geschäft schloss, hat sich das Dorf eigentlich nur noch auf dem Friedhof getroffen“, erzählt Frauke Lehrke aus Bolzum, einem kleinen Ort südlich von Hannover.

Die Universitätsangestellte ist im Beirat des Dorfladens, der im März 2015 öffnete und hilft in der Freizeit beim Einsortieren der Waren. Täglich kommen 200 Kunden: „Mit so viel hatten wir nicht gerechnet“, sagt Lehrke. Und, dass viele das persönliche Gespräch nebenher schätzten.

Auch Dienstleistungen im Angebot

Während die Dorfläden in Grölls Netzwerk sich überwiegend als Mini-GmbHs – haftungsbeschränkte Unternehmer-Gesellschaften (UG) – organisiert haben, wurde in Schleswig-Holstein ein anderer Weg eingeschlagen. Mit 20 Millionen EU-Förder-Euro wurden dort bislang 35 von den Kommunen getragene „Markttreffs“ eingerichtet. „Neben den Einkauf haben wir auch Dienstleistungen und sozialen Austausch integriert“, erklärt Ingwer Seelhoff vom Projektmanagement Markttreff. Der kleinste Laden befindet sich auf der Nordsee-Hallig Hooge mit 120 Einwohnern. Eines Tages soll es 50 Markt-Treffs geben.

„In einigen Gemeinden hat sich durch die verbesserte Versorgung auch ein Zuzug von neuen Bürgern eingestellt“, sagt Seelhoff. In einem Fall konnte sogar eine Schule wieder eröffnet werden. Und die Immobilienpreise für Häuser, die zuvor Jahr um Jahr absackten, „bewegen sich wieder nach oben“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!