Einigung in Thüringen: Ein richtiger Tabubruch
Die Thüringer CDU will jetzt eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung tolerieren. Auf Bundesebene wird das die Partei wohl weiter spalten.
T hüringen schreibt in diesen Tagen Geschichte. Die CDU wird erstmals eine von der Linken angeführte Minderheitsregierung tolerieren...äh...stabilisieren. Darauf haben sich Vertreter aller vier Fraktionen im Thüringer Landtag am Freitagabend geeinigt. Das Wort Tolerierung will man bei der CDU unbedingt vermeiden. Die künftigen Partner nehmen Rücksicht auf die semantischen Befindlichkeiten der CDU und sprechen daher von einem Stabilitätsmechanismus. Aber inhaltlich ist und bleibt es eine Tolerierung, wenn man vereinbart, für einen gewissen Zeitraum nicht gegeneinander zu stimmen, sondern untereinander Kompromisse zu suchen.
Für die CDU ist das ein Tabubruch. In mehreren Bundesparteitagsbeschlüssen gelobte sie, niemals mit der Linken zusammenzuarbeiten. Doch die Abkehr dieser Selbstverpflichtung wäre nicht ohne einen anderen Tabubruch möglich gewesen. Die Auschlussklausel galt schließlich auch für eine Kooperation mit den Rechten. Doch vor gut zwei Wochen, am 5. Februar, 75 Jahre nach dem Ende der NS-Dikatur, half die Thüringer CDU einen Ministerpräsidenten ins Amt zu heben, der dabei auch auf die Stimmen der AfD angewiesen war.
Ob die Gefahr von Links oder von Rechts droht, diese Frage stellt sich nach den Morden von Hanau, dem dritten tödlichen Anschlag aus rechtsradikalen, rassistischen Motiven seit Juni 2019, endgültig nicht mehr. Es bedarf keiner weiteren Taten, nur damit die CDU erkennt, wie gefährlich es ist, wenn sich der Diskurs nach rechts verschiebt und der Rassismus einer demokratisch legitimierten Partei wie der AfD als lässliche Sünde gilt.
Insofern ist es ein Fortschritt, wenn die CDU ihre Äquidistanz zu rechts- und vermeintlich linksextremen Parteien aufgibt und sich mit der Linkspartei innerhalb des demokratischen, weltoffenen, liberalen Spektrums gegen die rechten Antidemokraten von der AfD verbündet.
Dieser Schritt ist auch dann nicht gering zu schätzen, wenn man in Rechnung stellt, dass der zweite Erfurter Tabubruch vor allem aus einer instabilen Situation und egoistischen Motiven entsprang. Linke und AfD verfügen im Thüringer Landtag zusammen über eine absolute Mehrheit. Mehrheitsfähige Politik gegen beide Parteien gleichzeitig zu betreiben, wie es die Beschlusslage der CDU vorsieht, ist rechnerisch nicht möglich. Schnelle Neuwahlen, wie sie nach dem ersten Tabubruch im Februar als schnellste und sauberste Lösung erschienen, wollen die CDU-Abgeordneten nicht. Sie fürchten angesichts entmutigender Umfragewerte schlicht um ihr Mandat.
Niemand zu Haus im Konrad-Adenauer-Haus
Also wagten die vier Emissäre in den Verhandlungen das, was in der gegebenen Situation vielen außerhalb und einigen in der CDU als rational und pragmatisch erscheint: Sie sicherten einer Linken, die das Land fünf Jahre lang solide sozialdemokratisch regiert hat, ihre Unterstützung zu. Der Beschlusslage sei man sich natürlich bewusst. Das reicht dann aber auch als Absicherung.
Denn wer in Berlin kontrolliert eigentlich momentan, ob diese eingehalten wird? Nachdem Annegret Kramp-Karrenbauer ihren Rückzug als CDU-Vorsitzende angekündigt hat, herrscht ein Machtvakuum. Niemand zu Haus im Konrad-Adenauer-Haus – sturmfreie Bude.
Ausgestanden ist die Thüringer Krise damit freilich nicht. Denn nicht wenige CDUler sehen es als legitim an, in Sachfragen auch mit der AfD zusammenarbeiten. Die Werteunion warnt vor einem Dammbruch, falls Bodo Ramelow mit den Stimmen der CDU gewählt wird, der der Union unermesslichen Schaden zufügen wird.
Infolge der Öffnung nach links könnte auch die Mauer nach rechts weiter bröckeln. Die Tolerierung einer linken Landesregierung wird die Christdemokraten wohl weiter spalten. In Thüringen aber kann die Landespartei eine absurde politische Situation vorerst befrieden.
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