Einflussnahme in der Kultur Italiens: Ciao, Sprezzatura!
Die Regierung der Postfaschistin Meloni verschaft sich kulturell mehr Einfluss. Dabei nutzt sie machiavellistische Kniffe.
S prezzatura, das ist so ein Wort, das es im Deutschen nicht einmal gibt – und um das wir Italien immer nur beneiden konnten. Das am ehesten noch mit „Nonchalance“ übersetzt wird, also mit einer weiteren aus einer romanischen Sprache entliehenen Vokabel.
Der italienische Renaissance-Autor Baldassare Castiglione beschreibt die Sprezzatura in „Der Hofmann“ (1528) als die Fähigkeit, selbst Tätigkeiten, die viel Mühe erfordern, noch lässig aussehen zu lassen. Es reicht nicht, etwas perfekt zu beherrschen, für den guten Stil müssen alle Anstrengungen beiläufig hinter dem Genuss der Ausübung verschwinden.
Die Sprezzatura bildet den Kern des von Castiglione entworfenen Menschenbildes, das dem „Fürsten“ von Macchiavelli diametral entgegensteht. Wo der „Fürst“ – ein Ausbund an kriegerischer Macho-Attitüde – sich für belanglose Tätigkeiten loben und bewundern lässt, zeigen sich Gentleman und Hofdame diesem Krawallbruder durch die „Sprezzatura“ überlegen. Sie ist die Vorstufe zur „grazia“, zur Grazie. Und dafür lieben alle anderen Nationen Italien.
Nicht wegen der blühenden Zitronen. Nicht wegen Lido, Pizza, Eis, Wein. Sondern weil Italien das internationale Bewusstsein wachhält, dass sichtbare Anstrengungen und Liebenswürdigkeit Antagonismen sind. Dass Bemühtheit in der Mode, der Kunst, beim Essen und beim Anbandeln nur schadet. Wer den Rest Europas und vor allem Deutschland satthatte, war daher meist schon halb unterwegs über den Brenner – nicht nur die Pariser Existenzialismus-Ikone Simone de Beauvoir, die in der „Ewigen Stadt“ Rom ihr liebstes Sommerdomizil fand.
Kulturpolitik ans Ende der Liste
Wie jetzt mehrere Medien, darunter der österreichische Standard, berichten, ist im Sommer 2023 mit der „Sprezzatura“ aber erst mal Schluss.
Fast buchstäblich ließ die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni die Kulturpolitik zur Fußnote werden, indem sie sie im Wahlprogramm ihrer rechtslastigen Koalition weit hinter Infrastruktur, Familie und Verteidigung platzierte. Ausgerechnet der italienischen Kultur kommt plötzlich nur noch die Rolle zu, Touristen anzuziehen – was vorher Beifang, aber nie Selbstzweck war.
Wo die Kultur den Einfluss der Regierung vergrößert, darf’s dagegen gern a bisserl mehr sein. Durch eine macchiavellistische Volte brachte Meloni den Staatssender RAI in ihren Einflussbereich. Die TV-Gruppe, die ein Dutzend Sender umfasst, könnte ihr mehr Macht verleihen als „Mediaset“ ihrem Bunga-bunga-Vorgänger Berlusconi.
Im Frühsommer trat der RAI-Senderchef Carlo Fuortes entnervt zurück. Eine Alternative hatte die Regierung Meloni längst im Köcher: Sie wollte Fuortes als Intendanten des Theaters San Carlo in Neapel installieren, auf dem Chefsessel der RAI lieber ihren Gefolgstreuen Giampaolo Rossi.
Bio-Italiener auf hohen Posten
Um den bisherigen Neapolitaner Intendanten, den Franzosen Stéphane Lissner, in den Ruhestand zu zwingen, erweiterte Meloni die Altersgrenze von 70 Jahren, die bis dato für italienische Intendanten galt, auf Ausländer. Lissner klagte, Fuortes schmiss hin – er könne so kein Fernsehen machen! – und Meloni hatte ihr Ziel erreicht. Ihr Schachzug hatte nebenbei den Weg geebnet, zeitnah weitere Kulturinstitutionen mit Bio-Italienern bestücken zu können, die bisher von Menschen ohne italienische Staatsangehörigkeit nahe der neuen Altersgrenze geleitet werden – wie die Mailänder Scala.
Wie es für Eike Schmidt, den erst 55-jährigen deutschen Direktor der Uffizien, oder für Gabriel Zuchtriegel, den 42-jährigen Leiter der Ausgrabungsstätte von Pompeji weitergeht – ungewiss.
Rossi, der „Neue“ an der Spitze der RAI, setzt derweil alles daran, die „Dauerpräsenz der Linksintellektuellen“ im Kulturprogramm der RAI-Gruppe zu beenden.
Ciao, Sprezzatura, hoffentlich für kurze Zeit. Ci vediamo.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid