NIEDRIGE BETEILIGUNG BEI DEN WEISSRUSSISCHEN PARLAMENTSWAHLEN: Eine kleiner Sieg für die Opposition
Noch klingen sie uns in den Ohren, die euphorischen Statements, mit denen Beobachter vor knapp zwei Wochen den Abgang von Slobodan Milošević als Sturz des letzten Diktators in Europa bejubelten. Dieser Lesart zufolge gehört Weißrussland offensichtlich nicht zu Europa. Was auch nicht weiter verwundert, schließlich steht hier nicht das Ansehen der westlichen Staatengemeinschaft auf dem Spiel, die Region gilt als stabil, und auch als Absatzmarkt ist die ehemalige Sowjetrepublik nicht von besonderem Interesse.
So könnte man auch die als „weißrussische Parlamentswahl“ titulierte Farce vom vergangenen Sonntag getrost als weitere Machtdemonstration des Autokraten und Sowjetnostalgikers Alexander Lukaschenko abtun – der sein Unwesen ja glücklicherweise nur vor den Toren des ach so zivilisierten Europas treibt. Zumal – nach Repressionen bis hin zum Gewalteinsatz gegen Oppositionelle – die Ergebnisse von vornherein feststanden.
Dennoch: Der Stuhl von Lukaschenko wackelt, wenn auch nur ganz leicht. Trotz aller dreisten Manipulationen vor und am Wahltag selbst wird es dem Regime nicht gelingen, die Wahlbeteiligung überall über 50 Prozent zu hieven und damit den Urnengang für gültig zu erklären. Am höchsten war die Abstinenz in den Städten. Das ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass sich die Menschen dort nicht mehr einschüchtern lassen. Und auch auf dem flachen Land, wo Wählen vielfach noch als staatsbürgerliche Pflicht angesehen wird, scheint das Buffet im Wahllokal mit Wodka und billigen Wurstbroten als Motivationshilfe zusehends ausgedient zu haben.
Somit ist das Ergebnis ein kleiner Sieg für die Opposition, deren wichtigste Exponenten zum Boykott der Wahlen aufgerufen hatten. Doch mit einem „Njet“ alleine lässt sich schlecht Politik machen – zumal im Hinblick auf die anstehenden Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr, an denen Lukaschenkos Gegner teilnehmen wollen, obwohl sie sich bisher nicht einmal auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen konnten.
Nicht zuletzt werden die künftigen Möglichkeiten und Chancen der Opposition auch vom Verhalten des Westens mitbestimmt. Mit ihrer Festellung, die Wahlen seien regelwidrig verlaufen, gibt die Delegation von OSZE und Europarat nachträglich denjenigen Recht, die die internationale Vermittlungstätigkeit als für die Opposition kontraproduktiv bezeichnet hatten.
Was Lukaschenko von diesen Bemühungen hält, hat er mit dem Wahlprocedere erneut deutlich gemacht – nämlich gar nichts. Vielleicht sollte der Westen das „Wie“ eines weiteren Dialogs noch einmal überdenken. BARBARA OERTEL
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