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Eine Reise in die KindheitDie Sache mit der Erinnerung

Unsere Autorin möchte ihre Kindheitserinnerungen mit ihren Kindern teilen. Doch die sind wenig begeistert. Auch in Ordnung.

Die einen gucken beim Bahnfahren gerne aus dem Fenster, andere aufs Tablet Foto: Georg Wallner/Gonzales Photo/imago

D ie Kinder glotzen aufs Tablet, während ich ihnen zurufe: „Schaut doch mal, habt ihr die Berge gesehen!“ Sie sehen kurz hoch mit einem Blick, der sagt: „Ist gut jetzt, Mama.“ Dann schauen sie wieder dem kleinen Schaf aus Knete zu, wie es über den Bildschirm hüpft. Ich sacke zurück in meinen Sitz. Sehen sie denn nicht, was sie verpassen?

Wir sitzen in einer Schmalspurbahn. Mit maximal 80km/h auf dem Weg in die Steiermark, wo wir Silvester bei meiner Familie verbringen. Ich bin hier ewig nicht mehr gewesen, aber habe so viele wunderbare Kindheitserinnerungen an diese Bahnstrecke und den Ort. Die Felswände entlang durch die Berge, die kleinen Tunnel, der Ausblick. Wie ich mit meinen Geschwistern dann durch die Straßen getigert bin. Wie meine Oma uns ein paar Schillinge gab und wir zur Bäckerei gelaufen sind, um uns davon Brausezuckerl zu kaufen.

Wie es überall nach Lebkuchen geduftet hat. Wie wir auf Skiern die Pisten hinuntergesaust sind und danach Bananenkuchen auf der Hütte gegessen haben. Die roten Wangen und die bleierne Müdigkeit, die sich mit der frischen Luft abends wie eine Decke über uns gelegt hat. Wie wir im Garten meiner Oma kleine Rennstrecken für Glasflaschen in den Schnee gebaut haben, bis uns die Finger fast abgefallen sind vor Kälte. All die Weihnachtsfeste. All die Jahreswechsel. All die schönen Momente.

Es sind Erinnerungen, die ich mit meinen Kindern teilen will. Das war ein Grund, wieso wir wieder nach Wien gezogen sind. Näher bei der Familie sein, damit die Kinder solche Erfahrungen machen können. Mehr Bezugspersonen haben können. Immer nur die Eltern um sich zu haben, ist anstrengend – für alle Beteiligten.

Nur ist es mit Erinnerungen so eine Sache: Sie sind nicht echt. Schon in ihrer Selektion sind sie eine starke Verkürzung der Realität. Je länger sie her sind, desto schwieriger ist es, dahinter zu blicken. Aber als ich da sitze und aus dem Fenster den kleinen Zug in der nächsten Kurve in einen Tunnel biegen sehe und mir wünsche, dass die beiden das auch sehen, fällt mir wieder ein, wie langweilig mir das als Kind oft war.

Wie wir hier eine gefühlte Ewigkeit dahin getuckert sind und die 67. Runde „Ich seh, ich seh, was du nicht siehst“ nur noch mit „Ist mir total egal“ beantwortet werden konnte. Was hätte ich für ein Tablet gegeben.

Was wir hatten: Die ganzen Weihnachtsfilme, das Fernsehprogramm um die Feiertage, wir haben uns das alles reingezogen. Wir saßen stundenlang da, haben Kekse gegessen und waren so glücklich über diese Ruhe in den Ferien. Unsere Eltern bestimmt auch. Schule, Kindergarten und Arbeit waren anstrengend genug. Und auch wenn das nicht die ersten Erinnerungen sind, die mir heute in den Sinn kommen – sie waren genauso Teil der Realität. Also beschließe ich als wir in den Tunnel fahren, locker zu lassen. Die Kinder werden ihre Erinnerungen schon selbst finden.

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Saskia Hödl
Autorin
Jahrgang 1985, ist freie Autorin in Wien und schreibt über Politik, Medien und Gesellschaft. Ehemalige taz panter Volontärin, taz eins Redakteurin und taz2&Medien Ressortleiterin.
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1 Kommentar

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  • Ja, die Kinder werden ihre Erinnerungen schon selbst finden.



    Sie wären aber offener für die Erinnerungen der Eltern, wenn man die vorher in einem ruhigen Moment mal mit ihnen geteilt hätte. Gesagt hätte, was einen früher - in gleichem Alter wie die Kinder jetzt? - an der Reise fasziniert hat.



    Wir waren fast immer offen für die Erinnerungen unserer Eltern, weil die es schafften, uns abzuholen und nachvollziehbar zu machen, was für sie damals spannend war, was anders war als zu unserer Zeit.



    Keiner wird dagegen gern unterbrochen, wenn er sich gerade konzentriert, auf ein Video oder ein Spiel zum Beispiel. So erzeugt man unnötigen Widerstand.