■ Bonn apart: Eine Lehrstunde in Grießbrei
Es muß einfach noch mal erzählt werden. Denn das weiß ja jedes Kind: Traumatische Erlebnisse müssen verarbeitet werden, sonst richten sie im Inneren des Menschen nur Unheil an.
Man muß sich das so vorstellen: Ein Junge im Heim, der jeden Tag den immer gleichen Grießbrei zu essen bekommt und mindestens einmal pro Woche einen Aufsatz darüber schreiben muß, wie ihm der Grießbrei schmeckt, hat zwei Wochen Urlaub vom Heim und vom Grießbrei. Es geht ihm prächtig in dieser Zeit ohne Heim und ohne Grießbrei. Dann kommt er zurück. Als erstes wird ihm Grießbrei aufgetischt, der so garstig grießig und breiig ist, wie er es nicht mehr für möglich gehalten hätte.
Es war nämlich so: Die SPD lud zum Pressegespräch. Thema sei die Steuerreform. Was macht einer, der monatelang tagtäglich Grießbrei gegessen hat und nach einer kurzen Abstinenz wieder welchen aufgetischt bekommt? Richtig! Ein Glück, daß man Steuerreform nicht essen kann.
Die Serviererin war diesmal die Finanzexpertin der SPD, Ingrid Matthäus-Maier. Nun gut, vielleicht war also wenigstens diesmal eine Kirsche auf dem Grießbrei. Doch dann sagte sie: „Eine Belohnung für die Aufdeckung Grießbreihinterziehung ist erwägenswert.“ Sie sagte natürlich nicht „Grießbreihinterziehung“, sondern „Steuerhinterziehung“. Aber sie sagte, so wahr es Grießbrei gibt (o ja!), das Wort „erwägenswert“.
Nicht jeder Beobachter in Bonn ist schon derart grießbreigeschädigt, daß ihm die Sinne zugekleistert sind. Es fragte also jemand nach, was denn mit „erwägenswert“ gemeint sei. Frau Grießbrei antwortete: „Ich fordere es nicht, bin aber dagegen, daß man es ausschließt.“ Die Antwort befriedigte nicht jeden. Erneut fragte jemand nach. Diesmal antwortete die Finanzexpertin: „Ich fordere, daß dieses Mittel“ – und jetzt hob sie ihre Stimme – „unvoreingenommen“ – danach senkte sie sie wieder – „geprüft wird und nicht von vornherein durch das Wort Denunziation denunziert wird.“ Bevor wir ohnmächtig wurden, schoß uns ein bekannter Slogan durch den Kopf: Alles Grießbrei, oder was? Markus Franz
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