Eine Feministin wird 65: Frau Schwarzer und der Sex
Sie ist die Grande Dame des deutschen Feminismus. Doch jüngere Frauen kritisieren Alice Schwarzers völlige Verdammung von Pornografie und Prostitution.
Alice Schwarzer wird am Montag 65 Jahre alt - und ist immer noch kampagnenfähig. Landauf, landab spricht man über Prostitution und Pornografie, ihre beiden großen Themen in diesem Jahr. Sie kämpft weiter, Deutschlands Vorzeigefeministin, die schon viel ausgehalten hat: von Beleidigungen wie "Miss Hängetitt" aus den Siebzigerjahren bis zu den dümmlichen Witzchen eines Thomas Gottschalk wie neulich bei "Wetten, dass...". Hartnäckig und schlagfertig hat sie dieses Dauermobbing pariert.
Dadurch ist sie zu einer Art Celebrity geworden, die in Talkshows und Ratesendungen sitzt und mittlerweile auch fragwürdige Allianzen eingeht, wenn es der Popularität dient. So trommelte sie für die CDU-Kanzlerkandidatin Angela Merkel, auch wenn deren frauenpolitische Ambitionen begrenzt sind. Zuletzt warb sie sogar für die Bild-Zeitung, obwohl aus der immer noch der Sexismus trieft. Das diene alles der Sache der Frauen, verteidigte sie sich.
So einfach ist es in Alices Welt: für oder gegen "die Frauen". Selten werden die zu einem so einheitlichen Subjekt wie unter Schwarzers Fittichen. In ihrer Zeitschrift Emma wirken deshalb allzu oft alle Frauen wie Opfer und alle Männer wie Täter. Beim Lesen der Emma gewinnt man zudem den Eindruck, dass "die Frauen" nur eine Meinung haben: die Alice Schwarzers. Und das macht einigen Frauen, deren Vorkämpferin sie doch sein möchte, die Gratulation etwas schwerer.
Schon im Jahr 2000 schrieb die Grüne Jugend in einem offenen Brief an Schwarzer: "Junge Frauen können mit Diskussionen, die Frauen in erster Linie als Opfer von männlich geprägten Strukturen verstehen, nichts mehr anfangen." Und die Autorin Thea Dorn, die in ihrem Buch "Die neue F-Klasse" den Feminismus modernisieren möchte, sieht "unübersehbare Differenzen" zwischen ihrer Generation und "dem klassischen Siebzigerjahre-Feminismus".
Interessanterweise tauchen die größten Probleme, die andere Feministinnen mit Schwarzer haben, regelmäßig beim Thema Sexualität auf, dem einen der Lieblingsthema von Alice Schwarzer.
So legte sie diesen Herbst ihre "PorNO"-Kampagne aus den späten Achtzigerjahren wieder auf. "Pornografie ist Gewalt" hieß es auf dem Emma-Titelbild im September 2007. Pornoliebhaberinnen wundern sich: Denn Alice Schwarzer definiert Pornografie einfach um. Pornografie ist nicht die "grobe Darstellung des Sexuellen", wie etwa das Strafrecht sie definiert. Bei Schwarzer heißt es stattdessen, Pornografie verknüpfe "sexuelle Lust mit der Lust an Erniedrigung und Gewalt".
Aber was ist dann der normale Porno? Der ist irgendwie eingemeindet in die neue Definition. Im selben Text nämlich spricht Schwarzer anklagend von den Millionen von Pornoseiten, die sie im Internet findet. Nach ihrer Definition müssten die alle frauenverachtend oder gewalttätig sein. Dabei genügt ein kurzer Blick ins Netz, um zu sehen, dass da jede Menge Normalo-Sexseiten darunter sind.
"Man kann diese Dinge nicht über einen Kamm scheren", meint der Präsident der Gesellschaft für sozialwissenschaftliche Sexualforschung, Jakob Pastötter, "sonst tut man vielen Leuten Unrecht". "Ganz normale Männer und Frauen" benutzten Pornos als Stimulanz, die wolle er nicht kriminalisieren, wie es mit einer neuen "PorNO"-Kampagne leicht passieren könne, meint der Forscher. "Und für den Porno gilt nun mal: Erlaubt ist, was beiden gefällt." Dazu könne gehören, dass Frauen und Männer masochistische Szenarien mögen. "Ein solcher S/M-Porno wäre nach der ,PorNO'-Definition aber schon ein Ding der Unmöglichkeit", sagt Pastötter.
Die Filmwissenschaftlerin Gertrud Koch, die sich viel mit pornografischen Filmen beschäftigt hat, will das Probleme der erniedrigenden Pornos nicht leugnen. "Es ist wichtig, dass wir über Frauenhass in Pornografie sprechen", sagt sei und hält deshalb öffentlichen Kampagnen für sinnvoll. "Aber den Ruf nach einer Zensur, den ich bei Schwarzer immer heraushöre, sollten wir uns sparen", fügt sie hinzu.
Eine gesellschaftliche Debatte halten Pastötter und Koch für überfällig. Aber eine Verteufelung des Ganzen, wo man vielleicht nur bestimmte problematische Entwicklungen meint, stößt nicht nur in der Fachwelt auf Unverständnis, sondern ebenso bei jüngeren Frauen: "Womit ich überhaupt nichts mehr anfangen kann, ist dieser Hass auf Pornografie", sagt Fernsehmoderatorin Charlotte Roche in Dorns Buch. "Die Frau, die eine selbstbewusste Sexualität hat, fühlt sich bei den Sachen, wo die Feministin sofort ,erniedrigend' kreischt, nicht erniedrigt." Und die Schriftstellerin Tanja Dückers meint, dass Schwarzers Anliegen zwar sinnvoll, ihre Methoden aber "zum Teil antiquiert" seien. "Man kann nicht mehr einfach ,PorNO'-Aufkleber verteilen."
Es ist diese geradezu viktorianische Herangehensweise, die viele jüngere Feministinnen abschreckt. Doch Alice Schwarzer gemeindet auch diese jüngeren Frauen gern in ihr Freund-Feind-Schema ein. So findet sich im Antipornografie-Dossier der Emma ein Text der SZ-Autorin Meredith Haaf, in dem sie sich kritisch mit der erotischen Selbststilisierung junger Frauen auf der Internetplattform Myspace auseinandersetzt. Meredith Haaf versteht sich als Feministin, ihr Buch "Wir Alpha-Mädchen" erscheint im Frühjahr. Aber mit der "PorNO"-Kampagne möchte sie nichts zu tun haben. "Ich wusste nicht, dass mein Text Teil einer Antipornokampagne werden sollte. Da passt er nämlich nicht hinein. Ich bin pro Porno und nicht gegen Porno", sagt sie.
Der weibliche Körper steht auch bei Schwarzers zweitem Lieblingsthema im Mittelpunkt: der Prostitution. Anfang des Jahres erschien in der Emma wieder einmal ein großes Dossier dazu. Prostituierte sind für Alice Schwarzer Frauen, die ein Mann kaufen kann "wie eine Ware". Dass sie selbst sich auch als Dienstleisterinnen und sich damit durchaus als Subjekte sehen, ist damit undenkbar. Vielmehr folgt aus dieser These, dass Prostitution ein "Verstoß gegen die Menschenwürde" sei. Ein Verstoß gegen die Menschenwürde würde bedeuten, dass ein Grundrecht verletzt wird. Folglich müsste man Prostitution verbieten. Will sie das? So klar mag Schwarzer das nicht sagen. Vielleicht ahnt auch sie, dass man damit die Probleme der Prostituierten nicht löst, sondern durch die Illegalisierung neue schafft.
Aber was will sie stattdessen sagen? Die schlechten Arbeitsbedingungen der Prostituierten, die sozialen Zwänge, in denen sie leben, die oft reichlich verdinglichte Sprache der Freier, die sich nicht darum scheren, ob die von ihnen besuchte Frau eventuell zur Prostitution gezwungen wird - all dies sind durchaus skandalöse Zustände. Bei Schwarzer aber bebildern sie ihre These von der Verderbtheit der ganzen Sache. Es sind nicht einzelne Freier oder Zuhälter, die gegen die Menschenwürde verstoßen, es ist die Prostitution an sich.
"Sie stellt nur die eine Seite der Prostitution dar," meint die Pressereferentin des Sozialdienstes katholischer Frauen, Claudia Steinborn. Der Sozialdienst betreibt in Dortmund und weiteren Städten Ausstiegsprojekte für Prostituierte. "Wir sehen durchaus auch das Elend der Straßenprostitution oder das Problem der Opfer von Menschenhandel. Aber es gibt eben auch die selbstbewusste Prostituierte, die in diesem Beruf arbeiten will." Schwarzer aber meint: "Die von der Hurenbewegung propagierte ( ) Grenze zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Prostitution ist künstlich." So wird unversehens die Zwangsprostitution zum Prototyp der Prostitution: Zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006 würden 40.000 zusätzliche Prostituierte erwartet, geisterte durch die Medien. In der Emma wurden daraus "40.000 Zwangsprostituierte".
Der Dachverband der Hurenberatungsstellen ist davon überzeugt, dass Prostitution auch ein Beruf sein kann, wenn auch in einem extrem schwierigen Milieu. Und das sagten sie auch, wenn die Emma bei ihnen anrief. "Unsere Zitate sind dann oft so wiedergegeben worden, dass wir uns nicht mehr wiedererkannt haben. Wir haben daraufhin beschlossen, der Emma bis auf weiteres keine Interviews mehr zu geben", so Steinborn. In der Emma heißt es zu diesem Sachverhalt, der Dachverband sei "pro-Prostitution" und "diktiere" diese Haltung allen Mitgliedern. "Aufgrund der kritischen Berichterstattung" der Emma habe er ein "Kontaktverbot" beschlossen.
Es ist eine gewisse Feindlichkeit gegenüber verbotenen Gelüsten des weiblichen Körpers, der bei der Behandlung dieser Themen immer wieder aufscheint. Und diese Haltung scheint die Scheidelinie zu den jüngeren Feministinnen zu markieren. "Auf den Körper reduziert zu werden" galt lange Zeit als Abwertung der Frau. Die Romanistin Barbara Vinken, die mit ihrem Buch "Die deutsche Mutter" eine der wichtigsten Analysen zum deutschen Frauenbild verfasst hat, sieht darin eine Nachwirkung eines modernen Subjektbegriffs, "der Frauen aufgrund ihrer sie angeblich ganz bestimmenden Geschlechtlichkeit aus der öffentlichen Sphäre verbannt". Nur wer diesem Schema folgt, kann in der Körperlichkeit der Frau eine Bedrohung sehen und muss panisch darauf bedacht sein, nicht auf diesen "reduziert zu werden". Dass ein weibliches Subjekt mit seinem Körper und seiner Geschlechtlichkeit in der Öffentlichkeit spielt, daraus gar Kapital macht, sieht Schwarzer als Rückfall in die vom Mann zugewiesen Position. Vielleicht war das der Grund, warum sich Schwarzer von Verona Pooth, so provoziert fühlte.
"Alice Schwarzer ist ein Symptom für den deutschen Kontext. In der deutschen Debatte herrscht immer noch der männliche Geist über den weiblichen Körper", meint Vinken. Weshalb Alice Schwarzer ihr Heil in der Verleugnung der weiblichen Gelüste suche. In Frankreich und in den Vereinigten Staaten sei die Diskussion um die Differenz zwischen den Geschlechtern schon weiter.
So manche junge Feministin scheint ein anderes Konzept von Körperlichkeit zu haben, als es Schwarzer in ihrer Zeit möglich war. Nicht nur das spricht dafür, dass heute eine neue Generation die Staffel zu übernehmen. Eine Generation, die eine neue Antwort auf die Frage nach dem kleinen Unterschied findet.
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