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Eine Epoche geht, eine andere kommt: Gundremmingen, Krümmel und Biblis verschwinden aus der Landschaft. Dafür hängen sie im WohnzimmerSchöne Aussichten

Um den Schmuckteller ist es in den vergangenen Jahren still gewesen. Es entspricht ja auch seinem Daseinszweck, stumm an der Wand zu hängen. Die Burg Eltz in Altrosa auf Porzellan, das alte Braunschweig in Delfter Blau, eine Windmühle in niederdeutscher Landschaft. Laut wird so einer nur, wenn er runterfällt.

Der Wandteller ist uns weggerutscht, aber es kommt ja alles wieder. Man kann das gerade bei Kameras beobachten, die – obwohl kompakte Belichtungsapparate voller Hochleistungstechnik – aussehen wie in der Frühmoderne der Fotografie.

Wir erleben das Ende einer Epoche, und mit ihrem Ende kommt der Schmuckteller zurück. Es ist später Abend im Atomzeitalter, die Lichter erlöschen. Erste Atomkraftwerke sind abgeschaltet, werden zurückgebaut, bei anderen steht der letzte Tag der Betriebserlaubnis fest.

Spätestens am 31. Dezember 2022 müssen nach Paragraf sieben des Gesetzes über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren Emsland, Neckarwestheim II und Isar II abgeschaltet werden. Solche historischen Situationen sind die Hochzeit des Schmucktellers; er bewahrt als Erinnerung, was einst wirklich existierte.

Die Regisseurin Mia Grau und der Architekt Andree Weissert, beide ansässig in Berlin, haben Teller entworfen, die sie „Atomteller“ nennen. Sie zeigen alle 19 kommerziell genutzten Atomkraftwerke in Kobaltblau auf weiß grundierten Porzellantellern, spülmaschinenfest und resistent gegen Mikrowelleneinstrahlung. Nach ihrer Idee hat die Porzellanmalerin Heike Tropisch, die ihr Handwerk bei der Königlichen Porzellan-Manufaktur Berlin lernte, Aquarelle angefertigt, die die thüringische Porzellanmanufaktur Reichenbach dann in die Teller brannte.

Die Künstler haben ihr Werk als „Denkmäler des Irrtums – Hoffnung von gestern – Folklore von morgen“ bezeichnet, und so werden die vielen, mitunter irgendwie eigenartig fremd und doch vertraut klingenden Namen auf Schmuckwerk überdauern: Gundremmingen, Hamm-Uentrop, Krümmel, Biblis. Romantisch liegen sie in Fluss­auen, schicken Wolken weiß wie Zuckerwatte in den Himmel. Man erinnert sich an die fröstelnde Faszination, die von diesen Technikdomen ausging, an heftige Wut, große Angst – und manch einer wird bis heute skepsisfreie Bewunderung empfinden.

So einen Teller müsste sich jeder aufhängen können, die Anti-AKWlerin ebenso wie der KKW-Befürworter. Weil er die Erinnerung an eine wichtige Zeit ihres Lebens konserviert – Kampf, Technikglaube. Nichts dazwischen.

Ja, sagt Marianne Fritzen, die über 90 Jahre alte Grande Dame des Gorlebener Atommüllprotests im Wendland. Sie habe ohnehin gerade sechs Wandteller an ihre Enkelin in Kanada verschenkt, die sie zur ersten Hochzeit 1946 bekam – aus Beständen des britischen Königshauses. „Die Häkchen sind noch da im Essraum“, sagt sie. Künstlerische Auseinandersetzung mit dem, wogegen sie seit 1973 gekämpft hat? „Tolle Idee.“

Und was sagt die andere Seite, das Deutsche Atomforum, die Kernenergielobbyorganisation? Zu ihren Aufgaben gehöre „die faktenbasierte Information der Öffentlichkeit über Kerntechnik und Kernenergie, nicht aber Kunstkritik, Meinungen zum ästhetischen Empfinden oder Marktanalyse im Bereich Kunsthandwerk, Raumdekoration oder Haushaltswaren“, schreibt der Pressesprecher.

Vielleicht ist die Schmach über das Aus für die AKWs noch zu frisch. Aber gerade dann kann ein Wandteller heilsam sein. Felix Zimmermann

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