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„Eine Demokratisierung des Eigentums ist das Ziel“

Rouzbeh Taheri ist Sprecher der Berliner Bürgerinitiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“. Sein Ziel: 50 Prozent oder mehr Berliner Wohnraum in kollektiver Hand

Schrecken der Konzerne: Rouzbeh Taheri von der Berliner Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ Foto: Jörg Carstensen/dpa

Interview Anselm Lenz

taz: Herr Taheri, wie kommt es, dass Sie sich für das Thema Wohnen so stark engagieren?

Rouzbeh Taheri: Ich bin seit meiner Schülerzeit stadtpolitisch aktiv, seit 25 Jahren. Zum Thema Mieten und Wohnen bin ich gekommen, als ich ab 2011 selbst davon betroffen war. Es ging um eine energetische Modernisierung mit entsprechender Mieterhöhung. Im Zuge dessen habe ich die Erfahrung gemacht, wie viel Druck auch für andere Menschen beim Thema Miete herrscht. Und auch, wie viel Geld damit gemacht wird. Ich habe mich dann zusammen mit meinen Nachbar*innen gewehrt. Das ist dann immer mehr geworden.

Was ist Ihr Ziel?

Ich bin dafür, Instrumente zu schaffen, die die Menschen ermächtigen, kollektives und öffentliches Eigentum zu schaffen. Es gibt viele Formen, öffentliches Eigentum zu schaffen und in kollektive Verwaltung zu übergeben: Genossenschaften, das Mietshäuser-Syndikat, Vereine. Eine Demokratisierung des Eigentums ist also das Ziel. Kurzfristig brauchen wir eine Annäherung der Verwaltungsformen der öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften an die Ursprungsidee der Genossenschaft.

Wann ist Ihr Ziel erreicht, wann haben Sie sich als Aktivist selbst überflüssig gemacht?

Als Zielmarke nenne ich 50 Prozent der Wohnungen Berlins in öffentlichem oder nicht profitorientiertem Eigentum. Und dass jede*r in dieser Stadt die Möglichkeit hat, menschenwürdig zu wohnen. Diese beiden Punkte bedingen einander.

Ist der sozialdemokratische Wohnungsbau der Stadt Wien ein Vorbild?

Auch in Wien gibt es Probleme, aber es ist viel besser. Der Grund dafür ist, dass in Wien nur rund zehn Prozent der Wohnungen auf dem freien Markt sind. Alle anderen sind entweder städtisch, anderweitig gebunden oder durch einen Mietendeckel humanisiert. 40 Prozent sind öffentliches Eigentum, 15 Prozent genossenschaftliches Eigentum und etwas mehr als 30 Prozent sind in Wien mietengedeckelt. Nur so schafft man in einer kapitalistischen Metropole einen einigermaßen entspannten Wohnungsmarkt. Der freie Markt regelt es nicht.

Wie geht es den Vermieter*innen in Wien damit?

Es gibt in Wien so gut wie keine Konzerne, die mehr als 2.000 Wohnungen haben. Die anderen haben sich seit den 1920er-Jahren darauf eingestellt, dass sie eben keine Profitraten von 20 bis 30 Prozent bekommen.

Sondern?

Profitraten von drei bis vier Prozent. Was angesichts von Negativzinsen ziemlich gut und langfristig sicher ist.

Man muss auch gönnen können?

Realistisch. Ich bin ausgebildeter Volkswirt, habe einige Jahre an Instituten akademisch gearbeitet. Das war allerdings in einer Zeit, in der linke Wirtschaftswissenschaftler*innen keine Konjunktur hatten, Anfang der 2000er-Jahre. In Linkskeynesianismus und Marxismus musste ich mich nebenbei selber schulen. Man kann sich auch als Volkswirt*in weiterbilden, wenn man die Professor*innen nicht immer zu ernst nimmt. Ich habe wissenschaftlich viel zur Staatsverschuldung gearbeitet.

Die berühmte schwarze Null?

Gerade bei Negativzinsen ist ein Schuldenverbot nichts als ideologische Verbohrtheit. Mittlerweile sind ja sogar Teile der sogenannten Arbeitgeberverbände dafür, dass der Staat jetzt Schulden machen muss. Daran kann man erkennen, dass die schwarze Null zu einem Fetisch geworden ist, der mit wirtschaftlicher Realität nichts zu tun hat. Deutschland bräuchte eine riesige Investitionsoffensive in allen Bereichen der Infrastruktur, besonders im Hinblick auf den Klimaschutz. Dass nicht investiert wird, ist nicht mal mehr mit der Neoklassischen Schule erklärbar; denn wenn man fürs Schuldenmachen Geld geschenkt bekommt, sollte man so viel wie möglich investieren.

Ist es für Sie als Wirtschafswissenschaftler nervig, in der Initiative „Deutsche Wohnen enteignen“ zusammen mit Leuten zu kämpfen, die wirtschaftliche Zusammenhänge nicht durchblicken?

Nein, ich war ja bereits Aktivist gewesen, bevor ich studiert habe. Ich finde, dass Wirtschaftswissenschaftler*in­nen auch aus ihrem Elfenbeinturm heraus müssen. Auf der anderen Seite haben sich manche Aktivist*innen großes Wissen angeeignet, das akademisch ausgebildetem Wissen oft in gar nichts nachsteht. Manche kennen sich besser aus als Expert*innen in der Verwaltung. Wir müssen sowohl auf der Straße aktiv sein als auch fachlich mindestens auf Augenhöhe mit unseren Gegnerinnen und Gegnern sein.

Dann erklären Sie mal! Was ist überhaupt Miete?

Offiziell ist das ein sogenanntes Dauerschuldverhältnis. Marx hat in der Frage der Grundrente auch die Miete analysiert, sehr komplex. Jenseits des Wirtschaftlichen ist die Miete jedenfalls de facto die Finanzierung des Vermögensaufbaus des Besitzers.

Aber Haus- und Grundkäufer*innen müssen ja ihrerseits Kredite abzahlen …

Nach 20 bis 30 Jahren ist klassischerweise ein Haus durch die Mieterinnen und Mieter abbezahlt. Ein Teil der Miete wird natürlich für Instandhaltung ausgegeben. Der Rest ist der Profit des Vermieters. Völlig absurd wird es, wenn wir hinnehmen, dass Mieten steigen, ohne dass die Qualität der Wohnung steigt.

Rouzbeh Taheri 1973 in Teheran geboren, seit 1988 in Berlin, lebt nach eigenen Angaben „recht bürgerlich“ in Neukölln mit seiner Partnerin Lucy Redler (Die Linke).

Warum wurde das nicht grundlegend infrage gestellt?

Es wurde immer infrage gestellt! Seitdem Menschen vermehrt in Städten zur Miete wohnen, war das Thema Miete ein Dauerbrenner. Denn die Miete frisst schon immer einen großen Teil des Einkommens aller Arbeiter*innen und Angestellten wieder auf. Im Elend des 19. Jahrhundert war die Wahl oft: essen oder Miete zahlen. Die Miete war immer ein existenzielles Problem.

Manche Menschen müssen heute wieder einen großen Teil ihres Monatseinkommens für die Miete an die Eigentümer abdrücken. Sind Zustände des 19. und frühen 20. Jahrhunderts wieder da?

Die Anzeichen gibt es in Berlin seit einigen Jahren. Für Menschen mit unterdurchschnittlichen Einkommen ist eine Mieterhöhung immer damit verbunden, bei Urlaub, Kultur, Kleidung und schließlich beim Essen streichen zu müssen. Diesen Zustand haben wir. Die Einkommen steigen ja schon lange nicht mehr entsprechend. Und sinken schon lange bei realer Kaufkraft. Möglichkeiten, sich bei der Wohnung zu verkleinern oder umzuziehen, gibt es in der Stadt bei explodierenden Mietpreisen nicht.

Warum nimmt der Staat dann nicht billige Kredite auf und schafft den Leuten damit Wohnraum?

Weil das eine Einschränkung der Profitmöglichkeiten der Privaten bedeutete. Und die haben genug Einfluss auf die Politik. Man sieht ja jetzt beim Vorschlag der Einführung eines Mietendeckels, was für hysterisches Geschrei auf der Kapitalseite entsteht; es wird versucht, auf allen Ebenen dagegen zu opponieren. Das Kapital setzt alles daran, die Politik unter Druck zu setzen.

Wenn Sie Ihre Arbeit in einen Verfassungsgrundsatz gießen müssten, wie würde dieser lauten?

Wohnen ist ein Menschenrecht! Es ist Aufgabe des Staates, für angemessenen Wohnraum für alle Bürgerinnen und Bürger zu sorgen. Das reicht als ­Erklärung, denn man muss wissen, dass man die schönsten Gesetze formulieren kann, die aber nichts bringen, wenn nicht Bewegungen Druck ausüben.

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