Ein paar Worte zu Hoden: Zarter Biss, nussiger Geschmack
Leckere Genitalien, Stierhoden sind gemeint, verschwinden in Europa von den Speisekarten. Dabei gilt: Ob Stier, ob Mensch – Genießer genießen.
Dieses Wochenende haben sie beim Testy Festy in der Kleinstadt Clinton im US-Bundesstaat Montana bestimmt wieder viel Spaß. Die Gemeinde Clinton ist ungefähr so bedeutend wie Kirchentellinsfurt in der Nähe der Schwäbischen Alb, und ähnlich vielfältig sind dort das soziale Gefüge und das kulturelle Angebot.
Aber einmal im Jahr, eben dieses Wochenende, ist in Clinton wirklich der Bär los. Sie kommen von überallher, um den kulinarischen Höhepunkt des Festivals nicht zu versäumen: den „ball eating contest“. Stierhoden werden in allen Variationen zubereitet, gegrillt, geschmort, gebacken.
Hoden heißen auf Englisch testicles und erinnern damit, anders als im Deutschen, noch an den Ursprung des Wortes: an den Zeugen. Bei uns hat sich der Wortstamm nur noch im Erzeuger erhalten, also jenem männlichen Wesen, der dank seiner Hoden die Fortpflanzung garantiert.
Machen iPads doof? Ein Forscher warnt, und eine Familie mit drei Kindern und fünf iPads macht sich neuerdings Gedanken – die Ganze Geschichte „Wischiwischi“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 3./4. August 2013. Darin außerdem: Wie sich die NPD im äußersten Nordosten der Republik auf ein Verbot vorbereitet. Und: Die englische Schriftstellerin Jeanette Winterson über Liebe, Zusammenbrüche und die Gewalt der Sprache. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Da sind wir aber auch schon beim Problem: Weil die Hoden irgendwie mit Sex zu tun haben, ist es schwierig, ruhig und objektiv über sie reden. Die einen fangen sofort zu kichern an, die anderen machen obszöne Bemerkungen, und die dritten denken an Oliver Kahn. Ich möchte heute versuchen, ruhig und objektiv über Hoden zu reden.
Herz und Hirn – ja. Aber Hoden?
Hoden gehören, funktional betrachtet, zu den primären Geschlechtsmerkmalen von Säugetieren. Kulinarisch zählen sie zu den Innereien. Was die menschlichen Hoden angeht, so sind sie pflaumengroß und wiegen etwa 20 Gramm. Für die Küche interessanter sind dagegen Kalbs- oder Stierhoden (50 bis 100 Gramm) oder Lammhoden.
Mir ist es ein Rätsel, weshalb ich auf deutschen Speisekarten noch nie auf sie gestoßen bin. Hirn, Bries, Nieren, Herz, alles findet man. Aber Hoden? Selbst der Papst der Innereien, der Stuttgarter Starkoch Vincent Klink, traut sich nicht, Hoden auf die Karte zu setzen. Fast ist man geneigt zu sagen: Die deutschen Köche haben keine Eier. Aber weil ich ruhig und objektiv sein will, sage ich es nicht.
Wäre ich vor zweihundert Jahren geboren, ich hätte von England bis Spanien Hunderte von Hodenrezepten gefunden. Sie galten als Spezialität, und bei einer Hausschlachtung war es Ehrensache, die Hoden dem Schlachter zu überlassen. Manche aßen sie allerdings nicht nur wegen ihres zarten Bisses oder ihres nussigen Geschmacks. Bis heute hält sich in manchen abgelegenen Gebirgsregionen (siehe Clinton, Montana) der Aberglaube, der Verzehr von Stierhoden erhöhe die eigene Fruchtbarkeit. Doch mit zunehmender Industrialisierung der Landwirtschaft und Globalisierung der Nahrungsaufnahme gingen die Hoden irgendwo verloren.
Endlich in Hermannstadt
Als ich sie zum ersten Mal auf einer Speisekarte fand, war ich verzückt. Es war vor einem Jahr in Rumänien. Das Lokal lag in einem Außenbezirk von Sibiu (Hermannstadt) und war mir wegen seiner Kuttelsuppe (ciorba de burta) empfohlen worden. Dann las ich auf der mit einer alten Schreibmaschine getippten Karte das Wort „testiculele“ und war elektrisiert. Sollten sie hier tatsächlich …? Sie sollten.
Die junge Kellnerin verzog keine Miene, als ich testiculele bestellte (was beweist, dass man in Rumänien ruhig und objektiv über Hoden reden kann). Sie waren aufgeschnitten und am Stück gebraten, und sie schmeckten, na ja, interessant. Für alle, die vielleicht noch nicht wissen, wohin im Urlaub: Das Lokal heißt Kon Tiki und liegt in der Tudor Vladimiresco Straße Nummer 12.
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