Ein offizielles Angebot aus Berlin: Haydi, tschüss!
Staatsminister Michael Roth betont die Weltoffenheit Deutschlands – wenn es um politisch Verfolgte in der Türkei geht. Sonst ist niemand eingeladen.
Das Interview mit Staatsminister Michael Roth (SPD) vom Auswärtigen Amt, das am Dienstag in der Welt erschien, ist ein Paradebeispiel für eine elegante Einladung: „Deutschland ist ein weltoffenes Land und steht allen politisch Verfolgten im Grundsatz offen. Sie können in Deutschland Asyl beantragen.“
Was für zwei schöne Sätze. Und wie selbstverständlich! Denn ja, neu ist es keineswegs, dass politisch Verfolgte in Deutschland Asyl beantragen und über diesen Weg auch bereits in Vergangenheit unzählige politisch aktive Kurd*innen etwa nach Deutschland auswanderten. Neu ist allenfalls, dass dies noch mal in aller Deutlichkeit über eine auflagenstarke Tageszeitung verlautbart wird, auf die Art: „Leute, wir wissen, dass es euch gerade nicht so gut geht. Aber hey, wir sind für euch da!“
Interessant ist auch, was in dem Interview, das sich explizit um die Türkei dreht, nicht gesagt wird. Denn die große Frage, die im Raum steht, bleibt unbeantwortet: Was ist das für ein Ort, an dem Menschen politisch verfolgt werden? a) Disneyland, b) Eden, c) ein totalitäres Regime?
Obligatorisch fällt ein Satz, in dem klar gemacht wird, dass das, „was derzeit in der Türkei geschieht“, nichts mit „unserem Verständnis“ von Rechtsstaatlichkeit zu tun hat. Aber Michael Roth plädiert dafür, die EU-Beitrittsverhandlungen auf keinen Fall auf Eis zu legen. Die EU-Beitrittsverhandlungen! Diese Gespenster, die gefühlt hundert Jahre älter sind als die EU selbst. Sie haben ja auch in Vergangenheit den „westlich orientierten Türken“ so krass viel gebracht. Gute Idee.
Kein Recht auf Asyl
Aber ja, die gute Gastgeberin ist geschickt genug, die Nichteingeladenen gar nicht erst zu thematisieren. Die Flüchtlinge aus Syrien, die bitte schön hinter der angeblich noch verhandelbaren EU-Grenze bleiben sollen. Die gemeine türkische Bürgerin, der seit Anfang des Jahres die EU-Visafreiheit versprochen wird. Überhaupt alle Menschen, die in der Türkei leben, aber kein Recht auf Asyl genießen, weil sie politisch nicht aktiv sind – und trotzdem immer intensiver darüber nachdenken, was sie auf der Straße tragen, was sie offen aussprechen, welche Veranstaltung sie besuchen dürfen, ohne körperlich verletzt zu werden? Die, die nicht einfach ihr Köfferchen packen und Erdoğan winken und „Haydi, tschüss!“ rufen dürfen.
Können die sich denn entspannt zurücklehnen, solange die sogenannten EU-Beitrittsverhandlungen noch herumgeistern? Schützen die Verhandlungen denn noch irgendwen, also jetzt gerade in diesem Moment, in dem Dutzende Journalist*innen, Abgeordnete, Akademiker*innen und eben auch andere „Verdächtige“ hinter Gittern hocken?
Die Einsicht, dass die Türkei ein wichtiger Kunde des deutschen Rüstungsexports ist und Dutzende deutsche Unternehmen am Bosporus sitzen, droht natürlich jede Partystimmung zu killen. Und dass die, die beim Auswärtigen Amt nonchalant „kritische Geister“ genannt werden, in der Türkei „Terroristen“ heißen, ist vielleicht auch nur eine Frage des Geschmacks. Aber gut. Alles nicht so einfach. Am besten Schwamm drüber. Jemand noch ein Häppchen?
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Jens Bisky über historische Vergleiche
Wie Weimar ist die Gegenwart?
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss