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Ein guter Dating-Spot in LeipzigMit N. auf der Tinderbrücke

Unsere Autorin hat in ihrer Datinghistorie so gut wie alle Klischees angerissen. Doch jetzt wird alles anders – mit Blick auf die Skyline von Leipzig.

Na gugge ma, dor Uni-Riese Foto: IMAGO/Christian Grube

U nweit der Eisenbahnstraße gibt es eine Brücke, die von vielen nur Tinderbrücke genannt wird. Bis vor einigen Wochen kannte ich diesen Ort als Ostblick, ein Name, den ich treffend finde, weil man von hier aus die Skyline von Leipzig (also den MDR-Tower) betrachten kann.

Dass hier ein guter Dating-Spot sein soll, war mir nicht klar, was vielleicht daran liegt, dass Dating kein zentraler Bestandteil meines Lebens ist und ich meistens lieber mit einer Freundin in der Küche sitze, statt auf ein mittelmäßiges Date in einer mittelmäßigen Bar mit mittelmäßigem Bier (in Leipzig ist das Bier wirklich überall mittelmäßig) zu gehen und jemanden nach seiner Lieblingsfarbe zu fragen. Ein Jahr habe ich es geschafft, eine Kolumne zu schreiben, die sich mit Begehren beschäftigt, aber die konkreteste Form davon, Sex und Dating, auszuklammern.

Vielleicht kommt meine Null-Lust auf Datingmentalität daher, dass ich in meiner Datinghistorie so gut wie alle Klischees angerissen habe: Aufwandsarme Dates vorm Späti, bei denen ich mich zuverlässig betrunken habe, hatte ich nur mit Männern. Außer Frust habe ich da aber nicht sonderlich viel empfunden, aber mich jetzt hier breit darüber aufzuregen, wäre auch nur eine weitere Männerzentrierung.

Ansonsten war ich mein erstes Mal bouldern mit einer Person, die so hieß wie ich, und ein paar Treffen mit einer Person, bei denen niemand einen Move gemacht hat, nur um dann beim vierten Treffen mehrere Tage zusammenzuziehen – und sich dann für immer zu ghosten.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Monogamie ist over

Meine Art, Beziehungen zu führen, steht super konträr zum daten. In den meisten meiner Bindungen fühle ich mich sehr erfüllt und ich will nicht die eine Person für wen sein, genauso wenig, wie ich eine Person für mich will, Monogamie ist für mich lange over und ich strebe es an, über die individuellen Erwartungen zu sprechen. Ideal über Realität allerdings, denn mir fällt es sehr schwer, über mein Begehren zu reden, zu sagen, was ich beim Sex will oder nicht und was ich mir von wem anderes wünsche.

Damit konfrontiert werde ich, als ich N. kennenlerne. N. ist etwa zehn Jahre älter als ich. N. summt manchmal, wenn sie nervös ist. N. und ich verabreden uns auf dem Ostblick.

„You mean the Tinderbrücke?“ Heißt die so?, frage ich, wer benutzt denn heute noch Tinder? „We“, sagt N.

N. stellt viele Fragen. Sie sagt, wie sie unsere Dynamik wahrnimmt, was sie sich vorstellen kann, was sie braucht und was sie geben kann. „You don’t have to fulfill anything“, sagt sie, „that’s just offers.“

N. formuliert ihr Begehren. Als sie mich fragt: „What’s your pleasure?“, schweige ich. Ich mag vieles, aber vieles ja nicht immer und ehrlich gesagt, bin ich mir nicht sicher, was anerzogen ist und was ich wirklich will. Ich werde gerne am Oberschenkel berührt, gerne fester, aber ich weiß nicht, ob ich das jetzt gerade auch will. Und was ist, wenn ich etwas möchte, von dem ich merke, dass es sich schlecht anfühlt hinterher, oder wenn ich etwas begehre, dass ich nicht begehren sollte. Wie soll ich dir das sagen?

Begehren beschreibt auch immer eine Lücke. Wenn ich darüber spreche, was ich begehre, bedeutet das, dass ich mitteile, was mir fehlt. Du kennst jetzt meine Lücke, du weißt jetzt, was mir fehlt und du kannst damit machen, was du willst. Mit N. möchte ich einen Gedanken teilen, Worte schaffen es über die Lippen: Ich begehre – aber breche dann einfach ab.

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