Ein demonstratives Wochenende: Es weht ein kalter Wind
Neben dem CTM-Festival wurde am Wochenende in Berlin vor allem eines: demonstriert – gegen Faschismus, AfD und Merz. Und für Aufklärung in Novi Sad.
![Protestmarsch gegen den Rechtsextremismus in Berlin Blick auf den Deutschen Bundestag mit einem Plakat mit der Aufschrift FCK AFD im Vordergrund Protestmarsch gegen den Rechtsextremismus in Berlin Blick auf den Deutschen Bundestag mit einem Plakat mit der Aufschrift FCK AFD im Vordergrund](https://taz.de/picture/7509047/14/37593574-1.jpeg)
F reitagabend. In der Alten Münze gab das Musikfestival für experimentelle Undergroundelektronik, die CTM, den Ton an. Vor der Garderobe saßen auf dem Boden ein paar 20-Jährige im Kreis mit Cosplay-Kostümen, neonfarbenen Handbändern und mit felligen Tierohren auf. Sie warteten wie alle anderen darauf, dass der Club endlich aufmachte.
Im sogenannten „Machine-Floor“ spielte dann Bod. Mit weiß gepudertem Gesicht legte er in einem sehr schummrigen, nebelverhangenen, halb mit Menschen gefüllten Raum Musik auf. Schnelle Gabba-Rhythmen gingen über in depressiven Trap, dann 90er-Jahre-Goth-Romantik-Rock, der sich in Happy Techno verwandelte.
Die Leute hatten Spaß und jubelten. Irgendwann spielte Bod einen Computerspielsong. Ich stellte mir einen Raum mit Gamer-Stuhl vor, es riecht nach Menthos, Mezzomix, Bong und Schweiß, der Bildschirm flackert, und auf dem Tisch neben dem Computer ist eine Maus mit sieben verschiedenen Knöpfen.
Im sogenannten Cage-Floor – der Clubtrakt der Alten Münze ist ein verwinkeltes Untertagelabyrinth – spielte daraufhin das Berliner Duo Peb. Laute Live-Musik, aggressiv, wild. Eine Sängerin, Asja Skrinik, ein Schlagzeuger, Ilia Gorovitz. Hochpräzisionsarbeit. Aufblitzende Schreie, Trommelwirbel-Kaskaden, Synkopen, gesampelte Noise-Geräusche, ein Wecker piepst einsam zum Abschluss. Die Menschen im dicht gedrängten Raum haben großen Spaß, viel Applaus, ein tolles Konzert.
Serbische Diaspora vor dem Brandenburger Tor
Am nächsten Tag war es nicht so spaßig. 11.52 Uhr, vor dem Brandenburger Tor stehen etwa dreihundert Menschen zusammen, Serben-Demo. Sie schweigen 15 Minuten lang. Vor genau drei Monaten ist in Novi Sad in Serbien zur selben Stunde ein Bahnhofsvordach eingestürzt, das großspurig als topsaniert und nach den neuesten Standards verkauft und eingeweiht worden war.
Es entpuppte sich aber als tödlicher Pfusch, stürzte ein und begrub 15 Menschen unter sich. Bei den Protesten, die über die serbischen Landesgrenzen hinausgehen – hier in Berlin haben sich Teile der serbischen Diaspora versammelt – geht es nicht nur um ein schlecht gebautes Dach, sondern ums ganze Land, das, so die Protestierenden, wenn es so weitergeht unter der Führung von Präsident Aleksandar Vučić, wegen Klüngel, Machtmissbrauch und stark eingeschränkter Pressefreiheit vielen weiteren Menschen die Luft zum Atmen nehme und in sich kollabieren werde.
„Fuck AFD, Fuck CDU“
Einige Demonstrierende halten Plakate hoch: „Gerechtigkeit für Novi Sad“, „Korruption tötet“. Studenten, Lehrer, Bauern und Ärzte in Serbien blockieren seit dem Einsturz Straßen, besetzen Universitäten – und fordern Aufklärung. Doch Schlägertrupps, die in Zusammenhang mit der regierenden Partei stehen sollen, greifen Demonstrierende an.
Noch ist Präsident Vučić an der Macht – aber wie lange noch, fragen sich hier viele. Und wie lange wird sein Regime noch von mächtigen Ländern wie Deutschland gestützt, dessen rot-grüne Regierung erst kürzlich ein Lithium-Abkommen mit Serbien geschlossen hat? Das finden die hier Versammelten überhaupt nicht gut.
Am Sonntag dann: Deutschen-Demo. Vor der Bühne auf der Wiese vor dem Reichstag war es sehr voll. Bei der Rede von Michel Friedman, der letzte Woche aus der CDU ausgetreten ist, weil er den Migrationspolitik-Move von Friedrich Merz unerträglich findet, gab es im Gegensatz zu anderen Reden wenig Applaus. Zumindest dort, wo wir standen. Vielleicht, weil er die Menschen daran erinnert hat, dass die CDU trotz des Wahlkampf-Manövers, eine demokratische Partei bleibt, man solle es sich nicht zu einfach machen, mahnt er an. In der Menge ragt ein „Fuck AFD, Fuck CDU“-Transparent empor. Es weht ein kalter Wind.
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