Ein außergewöhnlicher Job als Fischerin: „Man muss öfter ins Nagelstudio“

Maria Thamm ist Fischwirtin in Ausbildung. Ihr Vater ist der letzte Berufsfischer auf dem Müggelsee. Sie wird mal den Betrieb in Rahnsdorf übernehmen.

Maria Thamm, Fischwirtin in Ausbildung, steht mit zwei riesigen Käschern vor der Kamera

Hat einen außergewöhnlichen Job: Maria Thamm, Fischwirtin in Ausbildung Foto: André Wunstorf

taz: Frau Thamm, wie reagieren die Leute, wenn Sie auf einer Party sagen, ich bin Fischerin?

Maria Thamm: Die sind erst mal baff. Weil es nicht das ist, womit man rechnet, wenn man mich in meinen privaten Klamotten sieht. Aber eigentlich sage ich das nicht gleich, wenn ich nach meinem Beruf gefragt werde.

Sondern?

Ich beginne damit, dass ich einen etwas außergewöhnlichen Job habe, und taste mich langsam vor. Dass meine Eltern eine Fischerei haben, dass das ein Familienbetrieb ist, dass ich da mitarbeitete und dass ich später mal Fischerin werde. Zum Großteil finden die Leute das cool und haben großen Respekt. Nicht nur weil ich eine Frau bin. Auch für einen Mann ist es nicht selbstverständlich, dass jeder so mit Fisch kann.

Der Werdegang Geboren 2001 in Rahnsdorf in Treptow-Köpenick. In Gosen-Neu Zittau/Brandenburg hat sie ihr Fachabitur in Wirtschaft und Verwaltung gemacht. Seit August 2019 absolviert sie in Königswartha/Sachsen und im Betrieb der Eltern eine dreieinhalbjährige Ausbildung zur Fischwirtin. Sie will auch noch Meisterin werden.

Der Betrieb Vater Andreas (67) ist der letzte Berufsfischer auf dem Müggelsee. Dort und in Brandenburg darf er auf einer Fläche von 3.000 Hektar fischen. In Rahnsdorf bewirtschaften die Thamms ein Fischereigut von 1535. Das Anwesen haben sie 2001 gekauft und saniert. Sie sind die 13. Fischergeneration auf dem Gut. Maria hat eine eigene Wohnung im Wirtschaftshaus. (plu)

Ihnen wurde der Fisch quasi in die Wiege gelegt.

Ich bin damit groß geworden, richtig (lacht). Wenn ich aus der Schule gekommen bin, stand mein Papa unten im Schlachtraum und hat Fische geschlachtet. Für mich war das ganz normal. Ich kann mich an keinen Moment erinnern, dass ich das gruselig oder eklig fand. Als ich dann selber mitgearbeitet habe, war es dann doch noch was anderes. Aber man gewöhnt sich schnell dran.

Was war am schwierigsten?

Definitiv der Geruch. Räucherfisch riecht sehr lecker. Aber frischer Fisch, gerade aus dem See gezogen, wenn man den verarbeitet, das riecht schon sehr unangenehm. Mein Vater sagt immer, das riechst du irgendwann nicht mehr. Also ich bin jetzt im zweiten Ausbildungsjahr. Es stört mich nicht mehr so wie am Anfang, aber ich rieche es immer noch.

Ihr Vater ist der letzte Berufsfischer auf dem Müggelsee. Seit wann ist klar, dass Sie in seine Fußstapfen treten?

Ich bin Einzelkind, es war gar keine andere Auswahl da, wer das sonst hätte übernehmen können. Ich wusste schon immer, dass ich das machen soll und irgendwie auch möchte. Aber so richtig identifizieren konnte ich mich damit zunächst nicht. Ich habe die Fachoberschule Richtung Wirtschaft und Verwaltung besucht. Das ganze elfte Schuljahr musste man drei Tage pro Woche ein Berufspraktikum machen. Das habe ich bei meinem Vater gemacht. Danach war es beschlossene Sache. Nach dem Abitur haben wir mich in der Berufsschule für Fischereiwirtschaft in Königswartha in Sachsen angemeldet. Jetzt habe ich gerade meine Zwischenprüfung gemacht.

Haben Sie nie mit anderen Berufen geliebäugelt?

Wenn ich nicht die Möglichkeit gehabt hätte, den Fischereibetrieb meiner Eltern zu übernehmen, wäre ich vielleicht in den Büro-Managementbereich gegangen. Aber Buchhaltung gehört ja auch hier dazu. Deswegen habe ich ja auch dieses Wirtschafts­abitur gemacht.

Ein altes Foto wird in die Kamera gehalten: Maria Thamm als Kind, auf dem Armen ihres Vaters

Maria Thamm auf einer alten Aufnahme als Kind, auf dem Armen ihres Vaters Foto: André Wunstorf

Rahnsdorf ist ein altes Fischerdorf. Sie und die Eltern wohnen in einem Fischergut von 1535. Der Grundstück grenzt an die Müggelspree, wo die Kähne liegen. Waren Ihre Vorfahren auch schon Fischer?

Nein. Mein Vater hat an der gleichen Berufsschule wie ich die Ausbildung zum Fischwirt gemacht. Er hat sich dann selbstständig gemacht und Fischereirechte gekauft. Erst hatte er ein Fischgeschäft in der Bahnhofstraße in Köpenick. Vor 20 Jahren, ungefähr zu der Zeit, wo ich geboren worden bin, ergab sich die Möglichkeit, das Grundstück hier zu kaufen. Er hat es dann Stück für Stück renoviert und in einen bewohnbaren Zustand gebracht.

Hätten Sie auch Nein sagen können?

Ein gewisser Erwartungsdruck war da, aber nicht so extrem, dass ich das Gefühl hatte, ich muss. Aber mein Vater wäre schon sehr traurig und enttäuscht gewesen, wenn ich es nicht gemacht hätte. Und er hätte nicht so genau gewusst, was aus dem Betrieb hätte werden sollen. Es ist auch in meinem Interesse, dass das alles weiter besteht.

Frischer Fisch, gerade aus dem See gezogen, wenn man den verarbeitet, das riecht schon sehr unangenehm

Ihre Ausbildung ist so, dass Sie abwechselnd drei Wochen in der Berufsschule und vier Wochen im Betrieb sind. Wie geht es zum Fischen raus?

Wir haben zehn bis zwölf Reusen im Müggelsee. Das sind feste Fanggeräte, die stationär im Wasser stehen. Mehrmals in der Woche machen wir mit dem Boot die Runde, kontrollieren die Reusen und entleeren sie. Aber bei uns gibt es nicht diesen täglichen Trott. Das schätze ich sehr an dem Beruf.

Was soll das heißen?

Wir haben die gesamte Handelskette: Wir fangen den Fisch selber und wir haben ein gewisses Sortiment an zugekauften Fischprodukten. Wir räuchern, verarbeiten und verkaufen alles selber. Das machen meine Mutter, mein Vater und ich und eine Festangestellte. Wir stehen mit dem Hänger auf Wochenmärkten, von Ostern bis zum Herbst verkaufen wir an Wochenenden und an Feiertagen auch direkt ab Hof. Unten am Wasser stehen Tische und Bänke, bei schönem Wetter ist der Laden voll. Da helfen uns dann auch Saisonkräfte.

Welche Fische fangen Sie selbst, was wird zugekauft?

Unser eigener Fang besteht überwiegend aus Zander, Barsch, Hecht und Aal. Der Müggelsee wird ja auch Aal-Zander-See genannt. Heilbutt, Rotbarsch, Butterfisch und Lachs kaufen wir zu und räuchern sie selbst. Die Kunden wollen ein Vollsortiment.

Was machen Sie mit den Weißfischen, die im Müggelsee massig vorkommen?

Das sind größtenteils karpfenartige Fische wie Bleie und Plötze. In jedem See gibt es sie zuhauf, wegen der vielen Gräten sind das aber keine beliebten Speisefische. Wir verarbeiten sie trotzdem weiter zu Fischbuletten. Dadurch, dass sie zweimal durch den Fleischwolf gedreht werden, sind die Gräten so klein, dass sie beim Braten verbrutzeln.

Haben Sie einen Lieblingsfisch?

Geschmacklich ist das der Aal.

Maria Thamm, Fischwirtin in Ausbildung, hält einen Zander in ihren Händen

Mit Leib und Seele dabei: Maria Thamm, Fischwirtin in Ausbildung Foto: André Wunstorf

Im Müggelsee kommt der eigentlich nicht mehr vor, oder?

Aale besetzen wir, das ist richtig. Wir kriegen kleine Babyaale geliefert, der Fachbegriff heißt Glasaale. Sie sind 2 bis 3 Zentimeter lang. Die setzen die Berufsfischer dann im Auftrag der Landesfischereibehörde in den hiesigen Binnengewässern aus. Die Aktion findet jedes Jahr statt und wird von der EU, dem Land Berlin und der Berufsfischerei gefördert. Generell haben wir als Fischereirechte-Besitzer gewisse Hege-Verpflichtungen. Dazu gehört auch der Laichplatzbau und sich um das gesamte Gewässer zu kümmern.

Fahren Sie immer zusammen mit Ihrem Vater fischen?

Die Reusen kontrollieren wir meistens zu zweit. Wenn es um die Stellnetzfischerei geht, fahre ich auch öfter alleine. Ab und zu ist das ganz angenehm, die Ruhe und so. Auf Dauer ist es aber nicht so schön, man muss ja auch arbeiten. Manchmal nehme ich mir dann eine Musikbox mit.

Und beschallen die Fische?

Nur leise (lacht). Mein Vater nimmt sich auch manchmal ein Radio mit.

Ganz alleine auf dem Müggelsee zu sein ist manchmal bestimmt auch nicht ohne.

Im Winter ist das so eine Sache. Was den Müggelsee gefährlich macht, ist, dass er so groß ist und kaum Buchten hat. Dadurch baut sich der Wind relativ stark auf. Da muss man aufpassen. Ich habe immer eine Schwimmweste an, sowohl im Sommer als auch im Winter. Mein Vater musste schon zwei Mal in seinem Leben schwimmen.

Was war passiert?

Das Boot ist bei Sturm gekentert. Einmal ist er gefühlt über den halben Müggelsee geschwommen. Viel weiter hätte er nicht können, sonst wäre es eng geworden, meinte er. Damit muss man als Fischer rechnen. Es gab schon öfter Vorfälle, wo Fischer ertrunken sind. Im Winter bei Wassertemperaturen um 0 Grad schwimmt man nicht lange, da sind auch nicht viele Leute unterwegs, die einem helfen können. Dazu kommt: Wenn wir im Winter rausfahren, haben wir dementsprechend dicke Klamotten an. Dann habe ich teilweise drei Hosen an, drei Pullover eine Jacke und noch Gummihosen drüber und Gummistiefel. Das zieht einen beim Schwimmen natürlich alles runter.

Sind Sie eine gute Schwimmerin?

Ich habe keine Angst vor dem Wasser, aber das ist definitiv nicht meine Lieblingsbeschäftigung.

Die wäre?

Im Sommer fahre ich Jet-Ski, das ist eine Art Wasser-Motorrad. Das habe ich mir zugelegt, mein Freund fährt auch so was. Die Lage hier bietet sich ja an.

Sie fahren auch Motorrad, richtig?

Ja, ich fahre eine Suzuki 600, das ist eine Sportmaschine. Mir macht eigentlich alles Spaß, was motorisiert ist.

Was macht Ihr Freund?

Er ist Kfz-Mechatroniker. Seine Mutter hat eine Werkstatt, wo er auch mit arbeitet, also quasi auch ein Familienbetrieb, aber von der Branche her könnte es unterschiedlicher nicht sein. Bis jetzt passt es trotzdem super. Ich habe nicht die Erwartung, dass er dasselbe macht wie ich. Das ist auch gar nicht so einfach, so jemanden zu finden, dadurch, dass es von uns nicht mehr so viele gibt. Und ich bin auch tatsächlich nicht traurig darum, dass er nichts mit Fischen am Hut hat. Weil, in meiner Privatzeit würde ich jetzt nicht noch gerne angeln gehen.

In meiner Privatzeit würde ich jetzt nicht noch gerne angeln gehen

Muss man Kraft haben für Ihren Job?

Und ob! Die ersten vier Wochen waren der Horror. Ich bin jeden Abend ins Bett gefallen, ich war fix und fertig. Erst mal diese Umstellung von Schule. Alles ist größtenteils mit schweren Dingen verbunden. Die Fische vom Boot in den Verarbeitungsraum tragen, das Rausziehen der Reusen aus dem Wasser, alles ist körperlich schwer. Aber das trainiert man sich mit der Zeit an. Ich habe durch den Job definitiv schon abgenommen.

Sie haben lange rote Fingernägel, kann man das als bewussten Kontrapunkt verstehen?

Ich denke schon. Das ist ein Ausgleich, den ich mir damit schaffe. Auf Arbeit schminke ich mich nicht und mache mir auch nicht die Haare. Da werden die Arbeitsklamotten angezogen, fertig. Aber in meiner Privatsphäre lege ich relativ viel Wert auf mein Äußeres. Mein Papa sagt manchmal: Du siehst ja gar nicht typisch fischermäßig aus. Und ich finde es schon auch cool, dass ich nicht diesem typischen Bild entspreche, das man früher von Fischern hatte.

Wie sieht das aus?

Keine Ahnung. Karierte Hemden, Fischerschürze, riecht schlimmstenfalls nach Fisch. Für mich macht das die Sache irgendwie modern.

Bei der Arbeit sind die Fingernägel aber eher hinderlich, oder?

Auf dem Wasser trage ich Handschuhe, aber beim Netzeflicken beispielsweise trägt man keine Handschuhe. Es gibt ein oder zwei Dinge, da ist man etwas mehr eingeschränkt. Ansonsten komme ich damit super klar. Man muss halt ein bisschen aufpassen und ein bisschen öfter ins Nagelstudio gehen als bei einem Bürojob.

Ist Ihr Vater ein Vorbild für Sie?

Definitiv. Mein Papa ist ein Mensch, den gibt’s nicht so oft. Allein schon von seinem Arbeitseinsatz. Er kennt kein frei, er kennt keine Pause. Ich glaube, als Kind bin ich das letzte Mal mit ihm in Urlaub gefahren, da war ich sechs.

Was vermuten Sie, sind Sie für ihn?

Schon sehr, sehr viel. Ich höre selber immer raus und auch ganz viele Freunde von mir hören immer sehr raus, dass er sehr, sehr stolz auf mich ist. Ich glaube, das weiß jeder meiner Freunde, der meinen Vater schon mal kennengelernt hat (lacht.)

Und Ihre Mutter?

Wir haben auch ein sehr gutes Verhältnis. Sie ist nicht ganz so aggressiv hinterher, immer arbeiten zu müssen, wie mein Vater. Als ich klein war, hat sie auch Zeit mit mir verbracht, aber ich habe auch viel Zeit mit meiner Oma verbracht, weil meine Eltern natürlich trotzdem viel arbeiten mussten.

Was ist, wenn Sie mit der Ausbildung fertig sind und der alte Herr irgendwann nicht mehr kann?

Notfalls muss ich jemanden einstellen. Ich möchte irgendwann mal Kinder haben und mich um sie kümmern. Schon deshalb wird es nicht möglich sein, dass ich so extrem arbeite wie er. Er hat aber gesagt, bis 70 macht er es auf jeden Fall. Ich finde, für seine 67 Jahre ist er noch topfit und sieht auch noch sehr jung aus. Der ist wirklich Fischer geworden, weil es ihm um das Fischefangen und Aufs-Wasser-Fahren geht. Bei jedem Wetter, das ist sein Ding. Ich hoffe, das wird er auch noch die nächsten 10, 15 Jahre machen.

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