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Ein Ultra als Hertha BSC-PräsidentEr ist der Verein

Kay Bernstein, ehemaliger Vorsänger der Ultras, ist neuer Präsident von Hertha. Seine Wahl ist ein Sieg der Fan-Basis gegen das Establishment.

Herthaner durch und durch: Kay Bernstein Foto: Imago Sport

Berlin taz | Die Ultras in Herthas Ostkurve – angeführt von der Gruppe Harlekins Berlin 98 – singen es schon lange: „Wir sind keine Konsumenten, lassen uns von euch nicht blenden. Ihr wollt uns einfach nicht verstehen, wollt uns nicht im Stadion sehen. Doch ihr werdet uns nicht los, unsere Leidenschaft ist viel zu groß! Wir wollen Hertha und kein Event, ihr habt die Zeichen der Zeit verpennt!“ Es ist der Chant einer trotzigen, widerspenstigen Fanbasis gegen Kontrollfantasien und Größenwahn im Club-Establishment, das besungene Manifest einer unerschütterlichen Haltung: „Wir sind der Verein.“

Doch bei aller Ultra-Romantik und -Überzeugung, damit gerechnet, dass einer aus ihren Reihen zum Präsidenten des Clubs aufsteigen könnte, hat wohl kaum einer der Hardcore-Fans. Und dennoch ist es geschehen: Kay Bernstein, ehemaliger Vorsänger der Harlekins – der sogenannte Capo, der mit dem Rücken zum Spielfeld die Gesänge der Kurve dirigiert –, ist auf der Mitgliederversammlung des Vereins am Sonntag mit großer Mehrheit zum neuen Vereins­chef gewählt worden. Bei der Ergebnisverkündung schallte es wie ein Torjubel durch die Messehalle City Cube, gefolgt von enthusiastischen „Ha-Ho-He, Hertha BSC“-Rufen.

Die Ultras, diese Jugendbewegung, die ab den 1990er Jahren die deutschen Stadien mit Dauergesängen, Choreografien und dem Anspruch, ihre Vereine mitzugestalten, eroberten – und nach der Hoch-Zeit der Hooligans wieder ein gutes Stück zivilisierter machten –, sind damit ganz oben in der Fußballhierarchie angekommen. Bernstein ist der erste, inzwischen muss man sagen Ex-Ultra, der das höchste Amt in einem deutschen Proficlub übernimmt, auch wenn es schon einige vor ihm in Präsidien und Aufsichtsräte geschafft haben.

Der in Marzahn aufgewachsene Bernstein hatte Anfang Mai seine Kandidatur verkündet, eingerahmt durch die professio­nelle Kampagne „Wir Herthaner“, die ausgehend von einer schonungslosen Analyse des desolaten Zustands des Vereins, sportlich, finanziell und in der Außendarstellung, eine Vision setzte: ein transparenter Club mit einer ehrlichen Kommunikation nach innen und außen, gelebten Werten, wie der Ablehnung von Sportwettenanbietern als Sponsoren, mit einem Fokus auf Jugendarbeit und Wertschätzung der Fans.

Kritische Ostkurve Foto: dpa

Mit dem vorzeitigen Rücktritt des Langzeit-Präsidenten Werner Gegenbauer im Mai, der sich zuvor mit dem Hertha-Großinvestor Lars Windhorst, der erfolglos 374 Millionen Euro in den Club pumpte, überworfen hatte, wurde der Weg für eine Neuwahl frei.

Gegenkandidat des Establishments

Das Establishment im Verein um den Aufsichtsratsvorsitzenden Klaus Brüggemann war nicht etwa glücklich über einen wie Bernstein, der mit seinen 41 Jahren seit 30 Jahren Hertha-Fan ist, und lange Zeit jedes zweite Wochenende in Regionalbahnen auf dem Weg zu Auswärtsspielen verbrachte.

Stattdessen wurde vor zwei Wochen ein Gegenkandidat präsentiert: Frank Steffel, gescheiterter CDU-Politiker und bisheriger Präsident des Handballclubs Füchse Berlin, der Ultras einst als eine Gefährdung friedliebender Fans und Familien bezeichnete, stand für viele für den Versuch, das von der Fanbasis entfremdete Geklüngel an der Vereinsspitze weiterführen.

Die Mitglieder entschieden dementsprechend. Steffel: 1.280 Stimmen. Bernstein: 1.670 Stimmen. Bernsteins Verbündeten Fabian Drescher wählten sie hernach zu seinem Vize.

Für die althergebrachten Sportfunktionäre und ihnen verbundenen Wirtschaftsfiguren ist die Wahl Bernsteins, die auch ihre Niederlage in einem Kulturkampf bedeutet, nicht einfach zu verkraften. Zwei Jahre Stadionverbot hatte Bernstein – wenn auch nur für eine Plakataktion, bei der die Polizei einschritt und ihn, so heißt es in seiner Biografie, „zusammengelegt“ habe. Beteiligt war er, als die Ultras 2004 die von einem „sponsor of the day“ verteilten Rasseln massenweise auf die Tartanbahn warfen.

Auch beim Thema Pyrotechnik, dem ewigen Streitthema zwischen Ultras und Vereinen wie Verbänden, hat Bernstein eine pragmatische Haltung: Es gehe darum, damit verantwortlich umzugehen, sagte er auf der Versammlung.

Ultra solidarisch

Doch Bernstein steht – wie die meisten Ultras – eben bei Weitem nicht nur für Provokationen und Regelübertritte, also für eine rebellische Jugend, sondern auch für soziales Engagement und Aufopferung für den Verein. Er war es, der für seinen an Leukämie erkrankten Freund und Hertha-Ultra Benny Bienert großangelegte Typisierungs­aktionen organisierte, die bundesweit von Fanszenen getragen wurde. Der Versuch, einen genetischen Knochenmark-Zwilling zu finden, blieb erfolglos, doch Bernstein hatte sein Organisations- und Kommunikationstalent entdeckt.

Inzwischen sitzt Bernstein seit zehn Jahren auf der Haupttribüne des Olympiastadions und führt eine Marketingagentur. Klar, dass so einer nicht auf seine Ultra-Vergangenheit reduziert werden möchte, sondern auch als erfolgreicher Geschäftsmann, Event-Manager und Kommunikationsexperte angehen werden will. Sicher ist aber auch, dass er ohne seinen Kurvengeruch, seine Bekanntheit bei den Fans, auch wenn seit seiner Zeit Mitte der nuller Jahre schon zwei, drei Ultra-Generationen nachgewachsen sind, niemals gewonnen hätte.

Ob verbilligte Dauerkarten oder Trikots, deren Erlöse zur Hälfte an Amateurvereine gehen, Bernsteins erste Mission ist es, die Stadt wieder für Hertha zu begeistern, vom Gehabe des „Big City Club“ verschreckte An­hän­ge­r:in­nen zurückzuholen und die Stärken eines Vereins mit 40.000 Mitgliedern zu nutzen. Die Außendarstellung des Vereins will er bestimmen, daran lässt das Manifest „Wir Herthaner“ keinen Zweifel: Demnach sei der Präsident der „oberste Kommunikator“. Man könnte hinzufügen: und nicht Lars Windhorst, der sendungsbewusste Investor.

Bernstein hat dennoch angekündigt, mit dem bei den Ultras verhassten Windhorst, der eine Mehrheit an der vom Verein ausgegliederten Lizenzspielerabteilung hält, zusammenzuarbeiten. Auch auf Sportdirektor Fredi Bobic setzt er. Ob Hertha damit wieder bessere Zeiten erwarten, weniger Gespött und Abstiegsangst, muss sich zeigen. Bernsteins Motto dafür lautet „Fresse halten und arbeiten!“

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1 Kommentar

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  • 374 Millionen Euro - nobusinesslikeshowbusiness. War ja ohne jegliche Aussicht auf Rendite, sprich Gewinnerzielung seitens des Investitionsobjekts. Keinen Gewinn, das hätte mensch auch produktiver haben können: mit 374 Millionen für Breitensport z.B., wie etwa.Schwimmkurse und Erhalt der Freibäder.