: Ein Rezept gegen den Regen
DAS SCHLAGLOCH von VIOLA ROGGENKAMP
„Um zweieinhalb Tage pro zehn Jahre hat sich die Schneeglöckchenblüte verfrüht.“ Annette Mentzel, diesjährige Trägerin des Preises der Deutschen Forstwissenschaft
„Dahinten, die Brücke, die hams neu baut vorges Jahr, da kommt der Kupferbach oben drüber.“Frau Moosach, Landkreis Ebersberg
Wir haben ein neues Wort: Starkregen. Es steht noch in keinem deutschen Wörterbuch und hat beste Aussichten, das Wort dieses Jahres zu werden. Starkregen. Wer hat das verbrochen? Gewiss ein Mann. Eine Frau tut so etwas nicht. Eine Frau rettet das Meerschweinchen ihrer kleinen Tochter aus der überfluteten Küche und wischt später die Wohnung vom Starkregen trocken.
Starkregen, das ist die Kopfgeburt eines Mannes im Dienst der Wirkungsmacht des Imaginären. Haben wir ein Wort für etwas, glauben wir zu wissen, was es ist, erfinden wir die uns passende Geschichte dazu.
Katastrophenregen? Zu negativ. Rekordregen? Zu positiv. Sintflut? Hatten wir schon. Starkregen. Ideal für die Versicherungsbranche. Da schwillt die Prämie an wie der Kupferbach im bayerischen Landkreis Ebersberg. Was ist Starkregen? Wir kennen Nieselregen, Wolkenbruch, Strichregen, Dauerregen, Landregen, Sprühregen und vereinzelte Schauer. Wir stehen in den sintflutartig ausbrechenden Regengüssen und wissen, das sind keine sommerlichen Platzregen mehr, das sind die Auswirkungen der Klimaveränderung. Diese monsunartigen Regen, die in dicken Tropfen auf Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern niederprasseln, diese Hagelschläge in Barcelona, die haben wir verschuldet. Hundert Kilometer vor Wien steigt das Wasser derzeit alle zehn Minuten um fünf Zentimeter.
Anfang vergangener Woche wurde weltweit das erste Abkommen über Wasserimporte abgeschlossen. Süßwasser in türkischen Tankern gegen die drohende Dürre in Israel. Nicht Öl. Regenwasser wird der Exportschlager ersten Ranges. Das Geld schwimmt derzeit auf der Straße. Deutsche Starkregen für den jüdischen Staat. Goldregen. Örtlichen Starkregen von dreißig bis fünfzig Liter pro Quadratmeter kündigte eben der Wetterbericht für Niedersachsen an.
Die Natur ist gereizt, sie zeigt deutliche Symptome einer schweren Verstimmung. Starkregen. Ein schwaches Wort für die weltweit spürbaren Klimaveränderungen. Wie viele Jahre ist es her, dass wir auf der Alster Schlittschuh laufen konnten, wir in Hamburg? Wo lieft ihr denn damals Schlittschuh, ihr in Berlin oder ihr in Nürnberg?
Wo? Das ist gar nicht die Frage, auf die es ankommt. Wann? Wann zuletzt? Es ist lange her. Ich erinnere mich noch, dass vor vierzig Jahren im November der Himmel über Hamburg regelmäßig so aussah wie jetzt und nicht zum ersten Mal im Juli und August: depressionsgrau. Ab Mitte, Ende Dezember bis Mitte, Ende März lag in jener Zeit Schnee. Weiß man noch in Schleswig-Holstein, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Sachsen, was das ist? Schnee, tiefer Schnee vor der Haustür? In Athen und Jerusalem weiß man es inzwischen, und sicher auch bald in Delhi und Rio.
Wer es noch immer nicht wahrhaben will, höre sich in der Versicherungsbranche um. Unser Klima hat sich verändert. Die Versicherer und Rückversicherer verdienen bereits daran, und wir zahlen und wollen es noch immer nicht glauben.
Starkregen. Ein Wort ist eine längere oder kürzere Ansammlung von Buchstaben oder aber ein Medium, und zwar in Verbindung mit einer Geschichte. Eine Geschichte ist immer wahrhaftig, auch dann, wenn sie verlogen daherkommt. In der Verleugnung oder Verkleidung, die bewundert oder zumindest anerkannt werden will, können wir das Verdrängte erkennen. Das Verdrängte ist das Wahre. Beim Starkregen ist das Verdrängte die zurzeit überlaufende Kanalisation. In Hamburg wurden in diesem Sommer mehr Ratten als bisher üblich gesehen, und zwar am helllichten Tag.
Hartnäckig bezweifelt haben die Klimaveränderung noch vor Ausbruch des Starkregens die Klimaforscher. Überall da, wo sie auf Klimaveränderungen trafen, forschten sie, ob es nicht etwas anderes sein könne und ob das Wetter nicht alle hundert Jahre so sei. Wer weiß, von wem die subventioniert werden? Der Starkregen hat sie weggespült. Die Zweifel der Klimaforscher sind uns erhalten geblieben. Sie streiten jetzt darum, wer Schuld hat.
Die einen sagen: die Sonne. Die anderen sagen: der Mensch. Alle elf Jahre tauchen dunkle Flecken auf der Sonne auf. Seit Anfang des 17. Jahrhunderts werden diese so genannten Sonnenflecken von Wissenschaftlern astronomischer Institute beobachtet und jetzt mit der Erwärmung in Verbindung gebracht. Bis vor kurzem glaubte man noch an eine zu erwartende Erkaltung. Mehr als siebzig Prozent der Klimaveränderung seien auf diese „solaren Aktivitätsveränderungen“ zurückzuführen, behauptet das Astronomische Institut der Universität München.
Das Klimaforschungsinstitut Garmisch sagt: Sonne 0,1 Prozent Einfluss, den Rest mache der Mensch. Und wenn der Mensch so weitermache, wie er mache, so die Meteorologen des Hamburger Max-Planck-Instituts, werden in den nächsten hundert Jahren die Temperaturen um wenigstens 5,8 Grad und der Meeresspiegel um wenigens 88 Zentimeter steigen. Und noch andere Dinge würden passieren, die abhängig seien von der Region, die wir gerade betrachteten.
Die Wissenschaftlerin Annette Mentzel von der Technischen Universität München betrachtet seit langem das Schneeglöckchen und andere jahreszeitlich bedingte Erscheinungsformen bei Tieren und Pflanzen. Der Bio-Indikator, die Auswirkung der Erwärmung, so die Wissenschaftlerin, könnte „direkt jetzt an unserer belebten Natur beobachtet werden“. Wenn, weil das Frühjahr sich zunehmend verfrüht, die Knospen sprießen, bevor noch die kleinen Raupen geschlüpft sind, um sie zu fressen, um wiederum von den noch nicht ausgebrüteten Kohlmeisen gefressen worden zu sein, dann ist die Synchronität der Natur gestört. Da hilft dem Vogel auch das frühe Aufstehen nichts. Der Mensch sei ein Klimaschänder, sagte eine Radioreporterin im Starkregen. So haben alle was zu sagen.
Nach uns die Sintflut, dachte die Mehrheit ganz gern. Vielleicht geraten wir noch alle mitten hinein. Vergessen wir nicht, dass wir immer mehr Menschen werden, die immer seltener jung sterben. Steht uns das Wasser schon bis zum Hals? Was ist zu tun? Ist noch was zu tun? Tun wir nicht so, als sei der US-Präsident der Allmächtige. Er wurde gewählt. Er will das Klimaabkommen nicht unterzeichnen. Er kann abgewählt werden. Und wie geht es Ihrem Auto? Wie oft fliegen Sie? Nicht wegen der Bonusmeilen. Wegen der Biosphäre.
Der Mensch soll nicht bitter werden, so schlecht ist er gar nicht. Der Mensch ist bloß gern faul. Und das ist schlecht. Es gibt Alternativen. Wählen wir sie. Bleiben wir nicht im Starkregen stehen. Tun wir etwas. Machen wir die Grünen zur Regierungspartei. Es ist ganz einfach. Zwei Kreuze auf dem Wahlzettel genügen. Lassen wir die Grünen Druck auf uns ausüben, Starkdruck. Ohne Druck wird es nicht gehen.
Im Anschluss an dieses Schlagloch hören Sie eine Unwetterwarnung.
Fotohinweis: Viola Roggenkamp lebt als freie Publizistin in Hamburg
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