■ Ein Post-PISA-Podium der Handelskammer: Sind musische Fächer „cool“ und „sexy“? fragte Bildungssenator Lemke. By the way, Willi, wie war das mit dem Zurückpfeifen der in die Kultur abgeordneten LehrerInnen?:
Wie verbringt man einen launigen Frühlingsabend? Man setzt sich in einen Biergarten, beispielsweise. Und redet über Fußball. Beispielsweise. Oder man geht zu einer Podiumsdiskussion.
Diesmal hatte der Arbeitskreis Kultur und Wirtschaft der hiesigen Handelskammer geladen – um darüber debattieren zu lassen, dass musische Erziehung und ästhetische Bildung ins „Abseits“ geraten seien. Das war interessant genug, den kleineren der „Glocke“-Säle immerhin halb zu füllen. Und Grund genug, neben den Senatoren Lemke und Böse zwei hochrangige Experten aufs Podium zu bitten: Den „hauptamtlichen Beweger“ Bazon Brock, derzeit Ästhetik-Professor in Wuppertal, sowie den Generalsekretär des Schrifstellerverbandes P.E.N., Johano Strasser.
Ob denn, fragte Lemke, die musischen Fächer „cool“ seien und als „sexy“ wahrgenommen würden. Doch scheint genau das nicht das Problem zu sein, bedenkt man, wie vielschichtig Schülerinnen und Schüler sich – auch oder gerade unabhängig von der Schule – mit Ästhetik beschäftigen. Mit HipHop beispielsweise. Jugendkultur als solcher geht ja nun nicht gerade das ästhetische Empfinden ab, im Gegenteil. Es entwickelt sich nur außerhalb der Bildungsinstitutionen.
Der musische Bereich sei „zu sehr schöne Nebensache“, sagte Lemke, „und das ist falsch.“ Einhellig nickte das Podium, und das Publikum wollte schon einnicken ob so viel Einverständnis. Doch dann kam Herr Brock. Er provozierte zunächst mit dem Statement, die Architektur der 50er habe mehr Schaden angerichtet, auch in Bezug auf das ästhetische Empfinden, als alle Bomben des Zweiten Weltkriegs zusammen. Weiterhin sei die Frage nach dem titelgebenden „Abseits“ gar nicht richtig gestellt. Er diagnostizierte stattdessen ein „Defizit an substanziellen Fähigkeiten, das Alltagsleben mittels Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben oder Rechnen zu erledigen“. Kultur werde zu sehr als ökonomischer Faktor gesehen, also vollkommen falsch in gesellschaftliche Zusammenhänge eingebunden.
Letztlich plädierte Brock für die Suche nach Strategien, junge Menschen wieder „realitätsfähig“ zu machen. Dazu brauche man das „Abseits“, schließlich habe die Ästhetik im Zuge der Aufklärung stets als eine Art Probebühne für den Umgang mit dem tendenziell „Unlösbaren“ gedient.
Wo der Hase im Pfeffer liegt, zeigt sich nach der Öffnung des Gesprächs ins Auditorium. Die Bekundungen, die Kultur sei nicht allein ökonomischer Faktor und das Musische sei aus Gründen des emotionalen Lernens etc.pp. so ungeheuer wichtig, klangen – mit den Statements derjenigen konfrontiert, die täglich als KulturpädagogInnen arbeiten –, als wären sie sonntags verfasst.
Warum denn so viele Konzepte, wie das der Ganztagsschule oder des „Lernen-Lernens“, wie Strasser sie skizzierte, obwohl so alt, nicht längst realisiert worden seien? Warum abgeordnete LehrerInnen an Schulen zurückberufen würden, obwohl gerade sie die Verbindungen in viele Institutionen wie Museum oder Theater in jahrelanger Kleinstarbeit erst aufgebaut hätten, diese nun aber brachliegen lassen müssten? Und warum, von einigen Pilotprojekten abgesehen, die Unterrichtsversorgung und Lehrerausbildung gerade in diesen Fächern nicht ausreichend abgesichert würde? Konkrete Fragen, die vom Podium entweder mit lustigen „Wer-ist-Schuld?-Ich-nicht“-Spielchen oder schulterzuckendem „Ich-hab-sowas-immer-gefordert-jedoch...“ quittiert wurden.
Klar wurde: Eine wirkliche Nachhaltigkeit des Lernens sei nur bei entsprechenden Rahmenbedingungen zu gewährleisten. Dies aber ließe sich, so Strasser, nur durch gesamtgesellschaftliche Einbindung erreichen – gewiss nicht durch hintertürigen Ökonomismus.
Tim Schomacker
Wer ästhetisch aktive Kinder und Jugendliche erleben möchte, kann dies unter anderem heute ab 11.30 Uhr in der shakespeare company am Leibnizplatz. Im Rahmen der Aktionswoche „Gesamtschule kreativ“ zeigen Theater-AGs ihr Können, im Foyer stellen Kunstprojekte aus
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