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Ein Mineral im Zwielicht

Lebensmittelhersteller sind aufgerufen, mit Jod angereichertes Salz in ihren Produkten zu verwenden. Doch nicht alle Ernährungsexperten sind davon überzeugt, dass die Jodprophylaxe tatsächlich immer der Gesundheit dienlich ist

von JÖRG ZITTLAU

Dass Jod wichtig für die menschliche Gesundheit ist, insofern es von der Schilddrüse benötigt wird, um Hormone für den Stoffwechsel zu produzieren, das wissen wir längst. Und in den letzten Jahren haben wir noch etwas über das Mineral hinzulernen können. So werden nämlich offizielle Institutionen wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) oder die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) nicht müde, uns vor dem Jodmangel in unseren Landen zu warnen.

Denn, so belehrt man uns, durch die Eiszeit wurden große Mengen des Minerals einfach in den Ozean weggespült. Und deswegen sei es in Deutschland schwierig, über den Verzehr von normalen Nahrungsmitteln den Jodbedarf zu decken. Doch glücklicherweise, so heißt es weiter, gebe es einen Ausweg aus diesem Dilemma. Nämlich den Griff zum Jodsalzstreuer.

Eine Argumentation, die logisch klingt und auch viele Verbraucher überzeugt: Mittlerweile streuen sich 75 Prozent der Bundesbürger Jodsalz über ihr Essen. Was schließlich auch den „Arbeitskreis Jodmangel“, ein Kollektiv aus reputierten Wissenschaftlern, die seit 1984 penetrant für Jodsalz und Jodtabletten plädieren, stolz verkünden ließ: „Die Jodprophylaxe greift.“ Nichtsdestoweniger sei „trotz der erfreulichen Verbesserung die optimale Jodzufuhr in Deutschland noch nicht erreicht.“ Was nichts anderes heißen soll, als dass die Bundesbürger noch mehr Jodsalz essen sollen. Dazu müssen auch Lebensmittelhersteller wie Bäckereien und Metzgereien sowie Restaurants und Kantinen konsequent mit dem chemisch angereicherten Salz würzen.

Doch in jüngerer Zeit melden sich immer mehr kritische Stimmen zu dem Thema. So wird zwar allgemein anerkannt, dass unser Mutterboden in der Eiszeit große Mengen an Jod verloren hat und daher kaum noch jodhaltige Nahrungsmittel produzieren kann, „doch das lässt nicht zwangsläufig den Schluss zu“, warnt die Erlanger Ernährungswissenschaftlerin Brigitte Neumann, „dass die Bundesbürger generell an Jodmangel leiden.“ Denn typische Jodmangelerkrankungen wie den Kropf – die berüchtigte Vergrößerung der Schilddrüse – gibt es nicht nur hierzulande, sondern auch in Jodüberschussgebieten wie zum Beispiel Japan.

Ein deutlicher Hinweis darauf, dass diese Erkrankung neben dem Jodmangel auch andere Ursachen hat. Wie etwa Umweltgifte. Laut Umweltbundesamt können nämlich auch Nitrate und Huminsäuren, die durch Industrie und Landwirtschaft ins Grundwasser eingespeist werden, zu einer Vergrößerung des Schilddrüse führen.

Gegen die massenhafte Einführung von Jodsalz spricht zudem, dass eigentlich niemand sagen kann, wo genau der Jodbedarf des Menschen liegt. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt 200 Mikrogramm pro Tag, die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gibt sich hingegen schon mit 150 Mikrogramm zufrieden.

Möglich ist aber auch, dass beide Werte zu hoch liegen. „Denn die Ermittlungsmethoden, die zu diesen Werten geführt haben,“ erklärt Brigitte Neumann, „basieren auf Messungen im Urin – und die taugen nicht dazu, um zu exakten Bedarfswerten zu kommen.“

Besser abgesichert ist da schon die Tatsache, dass sich der menschliche Körper im Laufe der Entwicklungsgeschichte an die Mineralvorgaben seiner Umwelt gewöhnt. So wie sich der japanische Mensch im Laufe der Jahrtausende auf hohe Jodwerte eingestellt hat, so lernte der mitteleuropäische Organismus, mit relativ niedrigen Jodwerten zurechtzukommen.

Fraglich ist auch, ob mit der Einführung von Jodsalz neue Probleme geschaffen wurden, anstatt alte zu beseitigen. So beteuern zwar Jodsalzbefürworter wie etwa Professor Peter Scriba, Direktor der Medizinischen Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität in München, dass Jodsalz keine Schilddrüsenüberfunktionen provozieren könne – und auch keine Allergien, „denn freies Jod oder Kaliumjodid beziehungsweise -jodat wirken nicht als Allergene und lösen somit keine Hautallergien aus“.

Studien aus den USA und den Niederlanden zeigen allerdings, dass dort mit der Einführung von Jodsalz die Anzahl von Patienten zugenommen hat, die an Morbus Basedow leiden – einer Schilddrüsenerkrankung, die man nur mit hohem medikamentösem Aufwand und dementsprechend viel Risiko behandeln kann.

Die Selbsthilfe der Jodallergiker, Morbus-Basedow- und Hyperthyreose-Kranken kommt in ihrer Dokumentation für den mitteleuropäischem Raum zu dem Schluss: „Die Zahl der durch Jodsalz und jodierte Lebensmittel krank gewordenen Menschen ist in den letzten fünf Jahren der totalen Jodierung sprunghaft angestiegen.“ Wobei neben Jodallergien und Schilddrüsenüberfunktionen auch andere mögliche Überjodierungssymptome wie Haarausfall, Herzrhythmusstörungen und Angststörungen zugenommen hätten.

Wenn schließlich schwangere und stillende Frauen große Mengen an Jod zu sich nehmen, kann dies beim Neugeborenen zu einer Unterfunktion der Schilddrüse führen, dem so genannten Wolff-Chaikoff-Effekt. „Bereits 1994 wird im Arzneimittelverzeichnis des Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) davor gewarnt“, so Dagmar Braunschweig von der Jodallergiker-Hilfe, „Jodverbindungen in Schwangerschaft und Stillzeit über die ärztliche Verordnung hinausgehend zu verabreichen.“

Was jedoch den „Arbeitskreis Jodmangel“ nicht davon abhält, werdenden und stillenden Müttern die ausschließliche Verwendung von Jodsalz und jodierten Nahrungsmitteln ans Herz zu legen. Außerdem seien noch zusätzlich „Jodtabletten mit 100 bis 200 Mikrogramm Jod angebracht“. Denn, so der Arbeitskreis weiter: „Jodtabletten sind in diesem Fall kein Medikament im eigentlichen Sinne, sondern sie dienen nur dazu, den naturgegebenen Jodmangel auszugleichen. Deshalb sollten die Kosten für die Jodtabletten gegebenenfalls von Schwangeren und Stillenden auch selbst übernommen werden.“ Das ist tröstlich. Wenigstens die Krankenkassen sollen also unter der Jodierung der Bevölkerung nicht zu leiden haben.

Doch selbst die entschiedensten Kritiker verlangen nicht, dass Jodsalz komplett aus den Regalen der Geschäfte verschwinden soll. „Denn wenn der Kunde jodiertes Speisesalz kaufen will“, so Brigitte Neumann, „soll er es auch kaufen können.“ Auch die Anwendung von Jodtabletten könne sinnvoll sein, wenn sie medizinisch angezeigt ist. Im Zentrum der Kritik steht vielmehr die unterschwellige Jodierung von Wurst, Fertiggerichten und anderen Speisen, die wir im vorgesalzenen Zustand kaufen. Denn darin sehen Kritiker eine „Zwangsjodierung“ oder eine „versteckte Medikamentierung“, die dem Menschen sein Selbstbestimmungsrecht in Sachen Gesundheit raubt.

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