Ein Label nur für Singles: Alles, was Radau macht
Auf seinem Label Troglodyt veröffentlicht Olé Verstand ausschließlich Lieblingsstücke auf Vinyl-Singles in 500er-Auflage.
Die meisten Plattenfirmen, die irgendwann richtig groß und millionenschwer wurden, haben mal klein angefangen und waren da noch weniger am Geld denn an guter Musik interessiert. Selbst Virgin, längst ein Riese in der Branche, wurde mal geleitet von der Idee, ein Zuhause für interessante Musiker zu sein. Dann kamen Mike Oldfield und der gigantische Erfolg, und irgendwann galt auch dort als gut, was viel einbrachte.
Eine derartige Entwicklung ist bei dem kleinen Berliner Label Troglodyt nicht zu befürchten, zumindest deutet derzeit wirklich nichts darauf hin. Denn verschrobener und am Markt vorbei operierender könnte eine Plattenfirma kaum sein als der Laden, den sich Olé Verstand aufgebaut hat, der auch einen bürgerlichen Namen hat, aber meint, der tue eigentlich nichts zur Sache.
Er empfängt in den Räumlichkeiten des Berliner Labels Staatsakt in Prenzlauer Berg, das eigentlich auch nur eine Klitsche ist, aber mit Hausacts wie Ja, Panik! oder Isolation Berlin gegenüber Troglodyt wie eine Super-Major-Plattenfirma wirkt. Olé Verstand hat bei Staatsakt seinen Laptop aufgebaut und darf von deren Büro aus sein eigenes kleines Imperium leiten. Was er sonst bei Staatsakt macht, wird nicht ganz klar, er läuft dort als „ehrenamtlicher Mitarbeiter“.
Nicht im Laden
Obwohl Olé Verstand eigentlich Psychologe ist, macht er seit einer Weile als Familienvater auf Hausmann und wollte es nebenbei eben mal mit einem eigenen Label versuchen. Deswegen habe er als Mittvierziger ein Praktikum bei Staatsakt gemacht, erzählt er, wobei man sich kaum vorstellen kann, dass ihm dort ernsthaft beigebracht wurde, ein Label so zu führen wie er das nun tut. Denn Troglodyt, was so viel wie Höhlenmensch heißt, veröffentlicht ausschließlich Vinyl-Singles. Erhältlich sind diese nicht im Plattenladen, sondern über die Internet-Plattform Bandcamp.
Auf den Singles landen auch keine unveröffentlichten Stücke hoffnungsvoller Nachwuchsacts, sondern bereits erschienene, aber eben nicht auf dem Format Vinyl-Single, sondern etwa auf CD oder Online, was für einen beinharten Vinyl- und Single-Fan wie Olé Verstand gleichbedeutend ist wie unveröffentlicht. Eine weitere Spezialität des Hauses ist, dass auf jeder Seite der Singles zwei unterschiedliche Acts zu hören sind. Außerdem können die Stücke gern aus Berlin und gern auch deutschsprachig sein.
Das ergibt zusammengenommen ein ziemlich schrulliges Labelprofil, was Olé Verstand wahrscheinlich nicht so sieht, denn dieses ist eben ganz auf seinen Geschmack zugeschnitten. Da er selbst Kneipen-DJ ist, der bevorzugt Singles auflegt, war es ihm ein Bedürfnis, bestimmte Lieblingsstücke für den Eigengebrauch auf eine Single zu packen. Von diesen Singles ließ er einfach ein paar mehr pressen – 500er-Auflagen, um genau zu sein – und schon hatte er ein Label.
Subkultureller Irrsinn
Vier dieser sogenannten Split-Singles hat er bereits veröffentlicht. Zu hören sind auf diesen Stücken von Acts wie Electronicat, Doc Schoko, Rocket/Freudental oder Ill Till &Xberg Dhirty6 Cru, einem Projekt des Berliners Patric Catani. Musikalisch geht es also von Wumms-Electronic über Neo-Punk bis hin zu verstrahltem HipHop. Olé Verstand steht auf alles, was irgendwie Radau macht und lustig ist. Das Programm für die nächsten Veröffentlichungen steht schon. Stücke von den Duisburger Satire-Punkern Eisenpimmel und den NDW-Dadaisten Der Plan warten darauf, endlich auf Singles von Troglodyt zu landen.
Was Olé Verstand mit seinem Label macht, ist letztlich die Fortführung seiner früheren Aktivitäten im Kontext Musik und subkultureller Irrsinn. Anfang der nuller Jahre war er einer der Mitbetreiber des sagenumwobenen Mitte-Clubs Bad Kleinen, einem der wildesten Ausgehschuppen, die Berlin je hatte. Das Bad Kleinen war „ein Laden, bei dem die Leute fragten: Ist das jetzt ernst gemeint?“, so formuliert es Olé Verstand.
Im Bad Kleinen, das ein Nomadenclub war, sah es immer so aus, als würde man eine Abrissparty feiern, leere Bierflaschen lagen auf dem Boden rum, und niemand machte die Toiletten sauber, hier gab es Berlin-Chic von der allerkaputtesten Sorte. Und statt Techno spielten meist irgendwelche krawalligen Rockbands. 2004, nach drei Jahren, war dann Schluss mit dem Laden, „auch weil uns allen die Idee gefehlt hat, das Ganze auf wirtschaftlich tragfähige Beine zu stellen“, so Olé Verstand.
Wobei das nun wirklich nach einer fadenscheinigen Ausrede klingt. Mit Troglodyt habe er bislang nur Miese gemacht, erzählt der Labelbetreiber durchaus glaubhaft, und trotzdem zieht er die Sache weiter durch, „zumindest so lange, wie ich das Geld dafür übrig habe“.
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