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Ein König ohne Volk

Wie geplant beendet Lance Armstrong auch die diesjährige Tour im gelben Trikot. Bei den Franzosen macht ihn das nicht unbedingt beliebter. Sie halten den Amerikaner für einen Technokraten

aus Paris SEBASTIAN MOLL

Der schönste Augenblick dieser Tour de France war für Lance Armstrong nicht etwa seine Siegfahrt zum Plateau de Beille oder sein Triumph beim Zeitfahren von Mâcon. Wirklich in Erinnerung bleiben wird dem Texaner, so jedenfalls hat er es gerade erzählt, wie seine US-Postal-Truppe eines Morgens mit dem Mannschaftsbus zum Start gefahren war und Armstrongs junger Mannschaftskollege Floyd Landis eine Kassette der texanischen Hardrocker ZZ-Top aufgelegt hatte. Die amerikanische Fraktion der Postals habe sich über die vertrauten Klänge „tierisch“ gefreut und sei gut gelaunt aufs Rad gestiegen; die Euroäer wie der Spanier Roberto Heras indes hätten nur den Kopf geschüttelt und gefragt, ob man diesen Lärm unbedingt hören müsse. Wann immer in Zukunft im Radio ZZ-Top laufe, so Armstrong, werde er dieser Situation wegen an die Tour 2002 denken.

Die Anekdote nährt die Vorbehalte, die man in Frankreich gegenüber Armstrong hegt und pflegt. Denn welchem Franzosen behagt schon der Gedanke, dass ein texanischer Heavy-Metal-Freak über das nationale Monument Tour de France, jenes gehegte Kulturgut der Grande Nation, gebietet. Seit das Phänomen Armstrong im Jahr 1999 über die große Schleife hereingebrochen ist wie eine Naturgewalt, wiederholen sich jährlich die Klagen über den patron. „Armstrong hat einfach eine andere Auffassung vom Radsport als wir in Europa“, sagt etwa Cedric Vasseur, der nach einem Jahr bei US Postal wieder zurück zu einem französischen Team wechselte.

Natürlich begreift Armstrong die Tour wie kein anderer im sportlich-technischen Sinn. Er hat offensichtlich den Schlüssel zum Tour-Sieg gefunden. Er weiß, wie man sich auf diese Rundfahrt perfekt vorbereitet. Er weiß, wie man sich taktisch auf sie einstellen muss – wo, wann und wie man die big points macht. Letztlich gewann er dieses Jahr die Tour auf nur vier von 20 Abschnitten: den beiden Pyrenäenetappen, am Mont Ventoux und bei seinem Sieg im letzten Zeitfahren. Über die vergangenen vier Jahre hinweg hat Armstrong sich zudem ein Team zusammengepuzzelt, das bei der Rundfahrt Regie führt wie kaum ein Team zuvor. „Wir sind die beste Mannschaf, seit La Vie Claire Ende der Achtziger“, schwärmt der Sportliche Leiter von US Postal, Johan Bruynee. So dominant war seinerzeit La Vie Claire, dass der Chef, Bernhard Tapie, sich aussuchen konnte, welchen seiner Fahrer er zum Toursieger bestimmte: Mal war es Greg LeMond, mal Bernhard Hinault.

Ob Armstrong jedoch auch den Geist und die Kultur der Tour versteht, bezweifeln nicht wenige. Am Mont Ventoux, jener steinernen Metapher für den mythischen Kern der Tour, hatte Armstrong seinen Gegnern um das gelbe Trikot kühl rund zwei Minuten aufgebrummt, jedoch nicht mehr Richard Virenque eingeholt, der heißblütig und bis zum letzten Körnchen Kraft darum kämpfte, an der Legende Ventoux selbst zu einer solchen zu werden. Selbst diesem kahlen Berg zu huldigen, indem er dort alles gibt und siegt, passt nicht in Armstrongs Kalkül. „Ich reibe meine Mannschaft nicht für einen Etappensieg auf“, sagte er fast schon despektierlich.

Bei einer derart technokratischen Regentschaft waren die Franzosen für Virenque und seinen ritterlichen Bruder im Geiste, Laurent Jalabert, dankbar. Sie trösteten die Radsportnation über die ungeliebte Fremdherrschaft hinweg: Virenque mit seinem Ritt auf den Teufelsberg der Provence, Jalabert mit seinen unermüdlichen Attacken in den Pyrenäen, die ihm zwar keinen Etappensieg bescherten, aber das Hemd für den besten Bergfahrer und vor allem die Sympathien der Fans. „Jaja“ wird von den Franzosen geliebt, Armstrong in Kauf genommen.

Trost über das Phänomen Armstrong, wie Jalabert ihn bot, tat bei der diesährigen Tour deshalb besonders Not, weil ein Ende seiner Ära nicht unmittelbar in Sicht ist. „Er kann ein fünftes und auch ein sechstes Mal gewinnen“, diagnostiziert Altmeister Eddy Merckx den Zustand der Szene. Die Spanier Joseba Beloki und Igor Gonzalez de Galdeano wirkten hilf- und ratlos; Santiago Botero besiegte Armstrong zwar im ersten Zeitfahren, verlor jedoch am Mont Ventoux 15 Minuten. Allein vor dem Litauer Raimondas Rumsas fürchtet sich Armstrong in Zukunft: „Er war immer da, obwohl er keine Mannschaft hat.“ Doch auch Rumsas, der seine erste Tour fuhr, ist schon 30 und seine weiteren Entwicklungsmöglichkeiten sind nur schwer einzuschätzen. Die Perspektive des anderen potienziellen Herausforderers von Armstrong ist derzeit noch weniger gut zu prognostizieren: Von Knieproblemen und psychischem Ungleichgewicht geplagt, sitzt Jan Ullrich in Florida und sammelt sich – die Aussicht auf ein erneutes Duell mit Armstrong ist eher vage.

Konkret ist hingegen, dass Armstrong im nächsten Jahr zum fünften Sieg antreten möchte. Und auch wenn er über den Rekord von sechs aufeinander folgenden Triumphen nicht reden mag, weiß man doch, dass er mit seinem derzeitigen Team für die kommenden beiden Jahre plant. „Armstrong fährt, so lange es ihm Spaß macht – und die Tour macht ihm von Jahr zu Jahr mehr Spaß“, sagt Armstrongs Mentor Johan Bruyneel. Auf die Franzosen muss das wie eine Drohung wirken.

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