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Ein Job für jeden – egal wie

Hessens CDU-Ministerpräsident Koch will durch ein neues Gesetz mehr Druck auf Arbeitslose ausüben. Bundesminister Riester (SPD): „Ein guter Ansatz“

Bisher leben die meisten Arbeitslosenhilfeempfänger in Deutschland an der Armutsgrenze

von BARBARA DRIBBUSCH

Die Initiative ist umstritten. Aber immer mehr Sozialpolitiker schließen sich dem Grundgedanken an: Arbeitslosen- und Sozialhilfeempfänger sollen künftig mehr Rechte bekommen, in eine Schulungsmaßnahme oder in Beschäftigung vermittelt zu werden. Gleichzeitig aber drohen damit immer mehr Hilfeempfängern Sanktionen, wenn sie einen solchen Job verweigern. Diese Pläne machen den Kern einer Bundesratsiniative aus, die Hessens CDU-Ministerpräsident Roland Koch gestern vorstellte. Bundesarbeitsminister Riester (SPD) erklärte, der Koch-Vorschlag enthalte „einige sehr gute Ansätze“.

Nach dem Willen von Koch sollen Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammengelegt werden. Mit jedem der erwerbsfähigen Leistungsempfänger würde dann in sogenannten Job-Centern ein Vertrag, der sogenannte „Hessenpakt“, abgeschlossen, der ihnen Schulungsmaßnahmen oder eine Beschäftigung zuweist. Wer die Teilnahme daran ablehnt, dem kann die Arbeitslosen- beziehungsweise Sozialhilfe gesperrt oder gekürzt werden. Koch erklärte, die Umsetzung seiner sogenannten Offensiv-Initiative würde erstmal kein Geld sparen, sondern mehr öffentliches Geld kosten. Schließlich müsste das Angebot an Schulungs-, Beschäftigungsmaßnahmen oder subventionierten Jobs deutlich aufgestockt werden.

Wichtig in der Koch-Initiative ist die Frage der Zumutbarkeit von Jobs. Nach Kochs Vorstellungen sollen Arbeitslosenhilfebezieher auch dann eine Beschäftigung annehmen müssen, wenn das Nettoeinkommen geringer als die Arbeitslosenhilfe ist. Auch gemeinnützige Arbeit soll als zumutbar gelten.

Bundesarbeitsminister Walter Riester (SPD) erklärte gestern, Kochs Initiative ziele trotz Kritik im Detail in die richtige Richtung. Über die Vorschläge müsse man mit der Union sprechen. Ein Arbeitsplatzangebot für jeden Sozialhilfeempfänger würde jedoch zu einer Aufblähung des öffentlich geförderten Arbeitsmarktes führen. Auch die Grünen hatten zuvor schon eine Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe gefordert.

Koch bezieht sich mit seiner Gesetzesinitiative, die im Bundesrat eine Mehrheit bekommen müsste, um umgesetzt zu werden, auf Erfahrungen aus dem US-Staat Wisconsin. Allerdings gab es auch in Ostdeutschland schon vergleichbare Versuche. Im größten deutschen Beschäftigungsprojekt vor einigen Jahren in Leipzig wurde jedem Antragsteller auf Sozialhilfe eine Maßnahme zugewiesen. Wer sich weigerte, dem wurde die Stütze gekürzt.

Die Folge des Leipziger Projekts: Die Zahl der Antragsteller auf Sozialhilfe sank in der Stadt dramatisch. Das Beschäftigungsprojekt allerdings erwies sich als weniger erfolgreich: Viele der Antragsteller landeten damit in unterqualifizierten Tätigkeiten etwa im Grünflächenservice oder bei der Stadtsanierung. Außerdem machten die ABM-Kräfte den örtlichen Handwerkern Konkurrenz. Das Modell wurde nach einiger Zeit wieder zurückgefahren.

Im Osten wurde dasModell schon vor Jahrenerprobt – und wieder zurückgefahren

Bisher bekommen Erwerbslose in Deutschland, die vorher sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren, bis zu knapp drei Jahre lang Arbeitslosengeld. Dann folgt die Arbeitslosenhilfe, und zwar zeitlich unbegrenzt. Wer vorher nicht in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat, erhält Sozialhilfe. Bisher leben die meisten Arbeitslosenhilfeempfänger an der Armutsgrenze: Nur ein Viertel von ihnen bekommt mehr als 1.200 Mark im Monat, viele erhalten deswegen zusätzlich zur Arbeitslosenhilfe noch aufstockende Sozialhilfe.

Der Trend, den Druck auf die Betroffenen zu erhöhen, eine Job- oder Trainingsmaßnahme anzunehmen, wird von Politikern damit begründet, dass künftig vor allem Langzeitarbeitslosigkeit zu vermeiden sei. Im Vergleich mit Frankreich, Großbritannien oder Dänemark hat Deutschland eine vergleichsweise hohe Quote an Langzeitarbeitslosen. Nach einer vergleichenden internationalen Statistik ist hierzulande etwa die Hälfte der Arbeitslosen schon länger als ein Jahr ohne festen Job.

Um Langzeitarbeitslosigkeit zu vermeiden, hat die rot-grüne Bundesregierung schon das so genannte Job-Aqtiv-Gesetz geschaffen, das für jeden neuen Arbeitslosen ein „Profiling“ samt „Eingliederungsplan“ vorsieht (siehe rechts). Die Betroffenen haben dabei unter Umständen auch Anspruch auf die Hilfe von privaten Vermittlern. Umgekehrt aber dürfen sie sich den Arbeitsangeboten auch nicht verweigern.

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