Ein Jahr nach der US-Wahl: Kraftlose Demokraten
Der Zauber von Joe Bidens Start als US-Präsident ist verflogen. Das liegt an einer selbstbezogenen Partei und verkrusteten Strukturen.
N ach dem Debakel bei den Gouverneurswahlen in Virginia scheint der Höhenflug, den die USA mit ihrem neuen Präsidenten Joe Biden gemacht haben, wie eine lang zurückliegende Vorgeschichte. Selbst bei den Demokraten ist die Zustimmung zu Bidens Amtsführung geschrumpft. Dabei ist es nicht einmal zehn Monate her, dass er ins Weiße Haus einzog und dass ein Ruck durch das Land ging.
Bei seiner Ankunft war Biden mit einer medizinischen Katastrophe konfrontiert, die sein Amtsvorgänger schlimmer gemacht hatte, als sie ohnehin war. Biden fand auch eine pandemiebedingte ökonomische Krise vor, eine nie dagewesene Polarisierung und Vergiftung des öffentlichen Klimas, eine internationale Isolierung, in der Washington mehr mit seinen Erzfeinden als mit seinen traditionellen Alliierten redete – und einen gewalttätigen Angriff auf den US-Kongress, den sein Amtsvorgänger angestachelt hatte.
Biden schien der richtige Mann für den Moment, schlug einen ruhigen und versöhnlichen Ton an, zeigte Mitgefühl, reagierte schnell und zupackend. Er kam mit einem Programm, bei dem es tatsächlich um die Probleme im Land und in der Welt ging. Er holte Fachleute in die verwaisten Räume des Außenministeriums zurück, brachte Frauen und Vertreter der Minderheiten in sein Kabinett, reinstallierte Umweltregeln, bahnte aufgekündigte internationale Abkommen erneut an und unterschrieb schon im März das Konjunkturprogramm, das Privatleuten mit kleinem Einkommen und Kommunen finanziell half.
Wie konnte es passieren, dass der Absturz so schnell und so brutal kam? Dass Biden, der im Frühsommer auf 53 Prozent Zustimmung segelte, inzwischen um 12 Prozentpunkte abgesackt ist, dass seine Reformvorhaben im Kongress stecken bleiben und dass seine Partei die Wähler in Virginia, die sich seit Jahren kontinuierlich auf die Demokratische Partei zubewegt hatten, verloren hat?
Die Antwort hat weniger mit Biden zu tun als mit den Strukturen, die ihn hervorgebracht haben. Biden wollte von Anfang an mehr, als Trump loszuwerden. Er wollte transformieren. Sein Infrastrukturgesetz und seine „Build-Back-Better“-Reform, das Wirtschaftshilfeprogramm, sollen die maroden Straßen, Brücken und das Breitbandnetz modernisieren, die Sonnen- und Windenergie ausbauen und Millionen neuer Arbeitsplätze schaffen. Zugleich sollen sie überfällige Sozialleistungen einführen – vom Anspruch auf Jahresurlaub über Steuernachlässe für die Kindererziehung bis hin zum Recht auf eine Babypause. Sie sollen auch der staatlichen Krankenversicherung für Senioren erlauben, die Medikamentenpreise zu verhandeln, die gegenwärtig bis zu zehn Mal höher sind als in Europa und Kanada.
Dass diese versprochenen Reformen nicht vorankommen, liegt zum einen an der Demokratischen Partei, zum anderen an verkrusteten politischen Strukturen und Institutionen des Landes. Sie erfüllen bis heute den Zweck, für den sie ursprünglich im 18. und 19. Jahrhundert konzipiert wurden: Sie wahren den Status quo und verhindern Erneuerung. Unter anderem geben sie Vertretern von konservativen weißen Wählern in ländlichen Bundesstaaten unverhältnismäßig viel Macht.
Die Demokratische Partei hat den Kraftakt vollbracht, Donald Trump aus dem Weißen Haus zu verjagen. Aber das Pfund, das sie dadurch in Händen hielt, verspielte sie anschließend. Die Partei ist vor allem eine Wahlmaschine. In Kampagnen kann sie Millionen Dollar beschaffen und Menschen und Gefühle mobilisieren. Aber kaum sind die Wahllokale geschlossen, sackt sie kraftlos in sich zusammen und überlässt das Feld streitenden Abgeordneten und Fraktionen, die wirken, als gehörten sie zu verfeindeten Parteien.
Diese Flügelkämpfe unterscheiden die Demokraten von den Republikanern. Letztere haben vier Jahre lang in eiserner Disziplin hinter Donald Trump gestanden, den die meisten von ihnen zuvor nicht als Präsident gewollt hatten. Unter ihm schmiedeten sie Pläne, um ihre Mehrheiten in den Gerichten und in den Bundesstaaten auszubauen. Seit seiner Niederlage arbeiten sie geschlossen an ihrer Rückkehr zur Macht.
Die Demokraten hingegen verschleißen sich in Flügelkämpfen. Schon direkt nach Bidens Wahl fiel der demokratische Senator Joe Manchin aus West Virginia dem neuen Präsidenten in den Rücken. Der Senator verhinderte, dass der Mindestlohn angehoben wurde. Seit dem Sommer sorgen Manchin und die Senatorin Kyrsten Sinema aus Arizona mit geeinten Kräften dafür, dass die Kernstücke von Bidens Amtszeit immer kleiner werden.
Zwei Senatoren torpedieren Bidens Pläne
Die beiden Senatoren vertreten zwei Bundesstaaten, die zusammengenommen weniger Einwohner haben als New York City. Mit repräsentativer Demokratie hat ihre Macht wenig zu tun. Für die Suche nach den Motiven für ihre Blockadehaltung ist ein Blick auf ihre Geldgeber nützlich. Manchin bekommt mehr Geld von Öl-, Gas- und Kohleindustrie als jeder andere US-Senator. Die Branche ist nicht am Ausbau erneuerbarer Energien interessiert. Sinema ist eine der fünf am großzügigsten von der Pharmaindustrie bedachten Mitglieder des Senats. Die Branche wünscht keine niedrigeren Medikamentenpreise.
In Bidens bisheriger Amtszeit sind viele Dinge nicht optimal gelaufen. Die schwerste – und an der Urne folgenreichste – Konfrontation des neuen Präsidenten ist die mit seiner eigenen Partei. Biden hat sein Programm Build Back Better um die Hälfte abgespeckt. Aber selbst in der Schrumpfversion ist es noch das größte Reformvorhaben in den USA seit den 60er Jahren.
Das Schicksal seiner Präsidentschaft liegt in den Händen der Demokraten. Wenn sie das Reformvorhaben durch den Kongress bringen, befördern sie ihr Land in das 21. Jahrhundert und machen sich selbst wieder wählbar. Andernfalls bereiten sie den Weg für ein Comeback von Trump – oder einen Klon von ihm.
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