Ein Jahr arabischer Frühling: Leben mit der Revolution
Vor einem Jahr hat der Umbruch mit dem Aufstand gegen Mubarak begonnen. Wie denken die Ägypter heute darüber und was erwarten sie von ihrer Zukunft in Freiheit?
KAIRO taz | Er erinnert in seiner Leidenschaft zu fegen ein wenig an Beppo, den Straßenkehrer aus dem Kinderbuch Momo. Auch wenn es nicht leicht ist, den Müll zwischen den in der zweiten Reihe parkenden Autos hervorzukehren, gehört seine Straße zu den saubereren im Gassengewirr der Kairoer Innenstadt.
Fast jeden Tag verlässt Adham, ein Vater von sieben Kindern, um vier Uhr morgens sein Haus, um mit der Arbeit bis zum frühen Nachmittag fertig zu sein. Selbst während des 18-tägigen Aufstands gegen den ehemaligen Präsidenten Husni Mubarak, der am 25. Januar vor einem Jahr begann, fegte Adham immer jeden Tag pflichtbewusst seine Straße, die nur wenige hundert Meter vom Tahrirplatz entfernt liegt.
Auf die Frage, was er ein Jahr nach Beginn der ägyptischen Revolution erwartet, zögert er nicht lange und zieht einen Schlüsselanhänger aus seinem verdreckten Overall. Daran hängt ein kleiner Stempel, auf dem sein Name eingraviert ist. Adham, der nie Lesen und Schreiben gelernt hat, benutzt ihn, wenn er offizielle Dokumente abzeichnen muss. "Ich möchte, dass meine Kinder alle zur Schule gehen und so etwas nicht mehr brauchen", antwortet er. So simpel und so schwer zugleich können die Forderungen an den Arabischen Frühling sein.
Adham ist ein gutes Beispiel dafür, welche großen sozialen Herausforderungen einem demokratischen Ägypten bevorstehen. Er verdient gerade einmal 55 Euro im Monat, neben den Trinkgeldern, die ihm die Anrainer manchmal zustecken. "Ich will nicht reich werden. Das Wichtigste ist, dass alle Leute zufrieden sind, und nicht nur einige wenige auf Kosten der anderen leben", sagt er bescheiden.
Manchmal hat er nur noch zehn Pfund, umgerechnet etwas mehr als einen Euro in der Tasche. "Ich versuche damit auszukommen, bis wieder Geld hereinkommt." Die zehn Pfund gebe er dann seiner Frau. "Andere haben 10.000 Pfund im Monat und kommen damit nicht aus", schüttelt er ungläubig den Kopf. "Ich habe kein Geld, meine Kinder auf Privatschulen zu schicken, und die staatlichen Schulen sind eine Katastrophe. Ich möchte, dass meine Kinder dort etwas lernen, zum Beispiel Englisch."
Mit Gottvertrauen
Gleiches gelte für die vernachlässigten staatlichen Krankenhäuser, in die man nur im alleräußersten Notfall geht. "Private Klinken kann ich mir nicht leisten", sagt Adham. "Am Ende wird nicht die Revolution, sondern Gott für uns sorgen, wenn wir versuchen, unsere eigene Lage zu verbessern und ein neues Ägypten zu schaffen", erklärt er seine Philosophie.
Für Politik, erzählt er, hat er eigentlich keinen Kopf. Wählen ist er aber gegangen, das erste Mal in seinem Leben. Nachdem er im Fernsehen eine Frau gesehen hatte, die sich im Rollstuhl vor dem Wahllokal angestellt hat, hat er beschlossen, dass auch er gehen muss. Gewählt hat er die Muslimbrüder. "Weil alle anderen es auch getan haben", sagt er.
Ahmad Abdel Alim ist das Gegenteil von Adham. Er leitet ein kleines Unternehmen oder besser gesagt einen Laden in bester Lage, mitten im Labyrinth des Touristenbasars Chan al-Chalili in Kairos Altstadt. Ein paar Stufen runter geht es in sein Reich, das ziemlich genau das in Rot gehaltene Basarklischee wiedergibt. Dafür sorgen vor allem die Kelimteppiche und beduinische Polsterbezüge in den beiden großen Verkaufsräumen, wo mit Tischchen und Spiegel, Schmuck und Perlmuttkästchen ausgestellt ist, was die Herzen der Touristen höher schlagen lässt.
Ohne Touristen
Ahmad hat wie Adham nicht an den Protesten gegen Mubarak vor einem Jahr teilgenommen. "Ich saß mit meiner Familie zu Hause und wir haben überhaupt nicht verstanden, was los ist. Wir haben uns Sorgen gemacht über das ganze Chaos, das entstanden ist", erinnert er sich. Für ihn stellt die Revolution zunächst einmal ein großes praktisches Problem dar. Sein Geschäft ist vollkommen eingebrochen. "Wir haben hier im Basar 85 Prozent weniger Touristen", schätzt er. Drei Angestellte musste er entlassen.
Jetzt macht er sich Sorgen, ob die islamistische Mehrheit im Parlament dem Tourismus zusätzlich schadet. Er hofft auf den Pragmatismus der Muslimbrüder. "Sie sind streng, aber keine Betonköpfe und werden hoffentlich mit ihren Aufgaben wachsen und sehen, was für das Land gut ist", meint er. Trotz all seiner Probleme ist er froh, dass die Zeiten Mubaraks vorbei sind. "Ich bin für die Revolution", sagt er und fügt hinzu: "Wenn wir etwas Neues schaffen wollen, müssen wir erst einmal leiden, bevor es besser wird." Und der Tourismus? "Manchmal ist er krank, aber sterben wird er nicht."
Amani al-Tunsi empfängt in ihrem Tonstudio im vornehmen Kairoer Bezirk Maadi. Sie ist bekannt, auch im Westen: Als Radiomacherin des ersten feministischen Online-Radiosenders im arabischen Raum "Banat we Bas", des "Girls Only Radio", wurde die 28-Jährige als eine der Tahriraktivistinnen oft porträtiert. "Die Revolution hat Ägypten verändert, weil die Barriere der Angst durchbrochen wurde", sagt sie.
Frauen wieder an den Rand gedrängt
Aber nicht alles läuft für sie nach Plan. "Ich habe Angst, dass die kommenden Jahre voller wirtschaftlicher Probleme, Verletzungen der Freiheiten und Angriffe auf Frauen und Christen sein könnten", erklärt Amani. Während des Aufstands gegen Mubarak spielten die Frauen eine große Rolle, jetzt würden sie wieder an den Rand gedrängt.
Sie hofft, dass die Islamisten die Kunst und die Medien gewähren lassen. Sie sollten sich vor allem um das Bildungssystem kümmern, "mehr als etwa um die Frage, wer was anzieht", rät sie. Auch im Zusammenleben zwischen Kopten und Muslimen gebe es Spannungen, "nicht geschürt von der Revolution, sondern von jenen, die sie zum Scheitern bringen wollen und die wollen, dass die Lage instabil bleibt".
Aber das größte Problem ist für Amani die soziale Frage. "Wenn die Armen revoltieren, dann werden wir eine zweite, viel heftigere Revolution erleben", prophezeit sie, denn "Menschen, die revoltieren, weil sie Hunger haben, sind anders als jene, die für ihre Rechte kämpfen."
Die Angst wurde gebrochen
Emad Gad sitzt im 11. Stock des Al-Ahram-Gebäudes, wo er sich im Zentrum für Strategische Studien berufsmäßig Gedanken über die Zukunft seines Landes machen muss. Seine Revolutionsbilanz fällt positiv aus. "Der erste Erfolg ist, dass die Angst gebrochen wurde", meint auch er.
Der zweite sei, "dass ein geschlossenes System einer Militärelite mit ihren Helfern in Polizei und Justiz aufgebrochen wurde". Sechzig Jahre lang sei diese Elite des Landes unverändert geblieben und nie erneuert worden, heute säßen hingegen 85 Prozent neue Abgeordnete im Parlament. Drittens hätten die Menschen erkannt, dass sie der Souverän sind.
"Wenn die Militärführung oder jetzt die Islamisten im Parlament einen Fehler machen, werden die Menschen auf den Tahrirplatz gehen", beschreibt Emad die neue politische Kultur. Er selbst hat es als liberaler Kandidat nicht ins Parlament geschafft. "Aber ich akzeptiere den Wahlsieg der Islamisten, und wenn mir nicht passt, was sie machen, gehe auch ich auf den Tahrir", kündigt er an. "Die Ägypter werden nie wieder nach Hause gehen und die Politik anderen überlassen. Das ist die größte Errungenschaft der Revolution", fasst er zusammen.
Unter Erfolgsdruck
Er erwartet mindestens fünf Jahre mit einer schwierigen Wirtschaftslage, einer sich nur langsam verbessernden Sicherheitssituation, niedrigen Investitionen und einer Zeit, in der auch Menschen politisch das Sagen haben, die gar nicht an der Revolution teilgenommen haben. "Spanien nach Franco hat auch zehn Jahre gebraucht", vergleicht er.
Das größte Problem für ihn ist die Militärführung, die alles daransetze, die Bevölkerung dazu zu bringen, die Revolution zu hassen, um sie auszubremsen. Aber am Ende werde auch Ägypten eine Verfassung und einen gewählten Präsidenten haben; und das Militär wird wieder hinter dem Vorhang verschwinden, glaubt er. "Das größte Problem ist", sagt er, "dass wir mit der Militärführung und ihrer unsinnigen Politik unglaublich viel Zeit verloren haben."
Adham, der Straßenkehrer, denkt wie Beppo in langen, langsamen Abschnitten. Zeit spielt für beide keine große Rolle. Während und nach dem Sturz Mubaraks ging es rund um seinen Arbeitsplatz ziemlich chaotisch zu, aber langsam werde es wieder besser, erzählt er. Und eines sei ihm schon jetzt aufgefallen: "Die Menschen werfen weniger Müll auf meine Straße."
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