Ein Jahr Flutkatastrophe im Ahrtal: Schutz in der Klimakrise
Eine Pflichtversicherung gegen Überschwemmung könnte verhindern, dass nach Flutkatastrophen wie an der Ahr Opfer vor dem finanziellen Nichts stehen.
Noch immer ist die Lage im Ahrtal und anderen Gebieten, in denen die Flutkatastrophe vor einem Jahr gewütet hat, dramatisch. Menschen leben in provisorischen Behausungen, Wege sind nicht passierbar, die Schneise der Zerstörung ist weiterhin sichtbar. Menschen, die versichert waren, haben immerhin die Hoffnung, die materiellen Schäden früher oder später ersetzt zu bekommen. Die vielen anderen müssen schauen, wer ihnen hilft. Auch wenn es anders versprochen wurde, läuft die staatliche Hilfe schleppend.
Wenigsten das sollte nicht noch einmal geschehen: dass Menschen nach so einer Katastrophe ohne einen Anspruch auf Entschädigung vor dem Nichts stehen und zu den schlimmen seelischen Belastungen ein finanzielles Fiasko kommt. Mit einer Pflichtversicherung wäre das möglich. Vorbeugung ist wichtig. Klimaforscher:innen warnen davor, dass sich so ein Desaster wie in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli wiederholen könnte.
Die Flutkatastrophe hat mehr als 180 Menschen das Leben gekostet und einen materiellen Schaden von schätzungsweise 33 Milliarden Euro angerichtet. Nur ein Teil war davon versichert. Die Versicherer haben bislang rund 5 Milliarden Euro gezahlt. Ein Viertel der gemeldeten 213.000 Versicherungsfälle ist noch offen, immense weitere 3,5 Milliarden Euro warten auf Auszahlung.
Diese Verzögerung liegt am Handwerker- und Materialmangel, sagen die Versicherer. Denn sie zahlen oft die Rechnungen für den Wiederaufbau und überweisen den Opfern nicht einfach die komplette Versicherungssumme – was immerhin den Vorteil hat, dass die Unternehmen das Inflationsrisiko tragen.
Nachfrage geht zurück
Viele, die versichert gewesen sind, sitzen also noch auf ihren Schäden. Und etliche von ihnen werden hart mit ihrem Versicherer ringen, denn die Gesellschaften haben nichts zu verschenken. Trotzdem geht es ihnen besser als jenen, die nicht versichert waren. Im Katastrophengebiet hatte nicht einmal jede:r zweite Wohnungseigentümer:in Versicherungsschutz. Die Unternehmen zahlen nur, wenn Kund:innen einen sogenannten Elementar-Zusatzschutz für die Wohngebäude- und Hausratpolice abgeschlossen haben. Nur dann bekommen Kund:innen den Schaden an Haus oder Hausrat ersetzt, der durch Überflutung, Starkregen, Schneedruck oder Erdbeben entsteht.
Versicherungen werden nie gegen alle Gefahren abgeschlossen, sondern nur gegen die, die im Vertrag ausdrücklich aufgeführt sind. In Zeiten der Klimakrise können überall Starkregen und Überflutungen auftreten – das bedeutet, dass jede:r Hausbesitzer:in und Haushalt so einen Schutz braucht.
Das ist nicht jedem klar – und wer in möglichen Überflutungsgebieten lebt, muss für den Zusatz sehr viel zahlen oder findet keinen Versicherer. In Deutschland hat gerade einmal die Hälfte der Hausbesitzer einen Elementarschutz. In Rheinland-Pfalz, wo das Ahrtal liegt, sind es 42 Prozent. Nach der Flutkatastrophe ist bundesweit die Nachfrage nach dem Zusatz gestiegen. Zwischen Oktober und Dezember 2021 haben rund 400.000 Kund:innen den Elementarschutz abgeschlossen, vor der Katastrophe waren es rund 100.000 im Quartal. Doch nach und nach geht die Nachfrage wieder zurück.
Verbraucherschützer fordern seit Langem eine Elementarschutz-Pflichtversicherung, mehrere Bundesländer unterstützen das. In Baden-Württemberg gab es bis 1994 so ein Obligatorium, es ist mit der Liberalisierung des Versicherungsmarktes verschwunden. Bis heute haben dort noch 94 Prozent der Gebäude einen Elementarschutz.
Folgen der Klimakrise
Zuletzt haben die Justizminister:innen der Länder Anfang Juni über eine Pflichtversicherung diskutiert und dem Bund immerhin einen Prüfauftrag erteilt. Jetzt liegt der Ball bei Justizminister Marco Buschmann (FDP). Was ihn davon abhalten könnte, das Vorhaben zu forcieren: Die Unternehmen lehnen einen obligatorischen Schutz ab. „Eine Pflichtversicherung allein verhindert keinen Schaden.
Wenn wir Prävention und Klimafolgenanpassung vernachlässigen, wird der Klimawandel eine Spirale aus steigenden Schäden und steigenden Prämien in Gang setzen“, sagt Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft.
Würde jemand, der eine Überflutung verhindern kann, darauf verzichten, weil er oder sie versichert ist? Wohl kaum. Und wie sollen Hausbesitzer:innen sich davor schützen, dass das Wasser bis in den ersten Stock steigt? Was allerdings richtig ist: Schutzmaßnahmen vor den Folgen der Klimakrise kommen viel zu langsam voran. Vielen Opfern der Flutkatastrophe vor einem Jahr war nicht klar, dass sie in einem Risikogebiet leben.
Auch heute machen sich viele Menschen nicht bewusst, dass extreme Wetterereignisse ein existenzielles Problem für jede:n werden können. Jederzeit. Auch deshalb sind nicht nur individuelle Lösungen für den Umgang mit den Folgen gefragt, sondern auch und gerade politische.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid