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Ein Dachboden voll grün

■ Bremer Grüne kommen ins Museum: Unikate wandern von Christine Bernbachers Dachboden in Berliner Martin-Gropius-Bau zur Ausstellung „Wege der Deutschen“

An den Ecken ist die Pappe eingerissen, die rot-schwarze Plakatfarbe verblasst. „Nie wieder Krieg“ steht auf dem Pappding, das auf der Erde an einem Karton lehnt. Die ehemalige Stange zum Tragen ist nicht mehr dran. Immer wieder hat Christine Bernbacher damit auf Polizisten eingedroschen. Damals bei der Demo „gegen die Bombenzüge“, die Raketentransporte der Amerikaner über Nordenham – in einer Hand das Plakat, in der anderen ihren Dackel. Das Schutzschild von einst kam nur einmal zum Einsatz. Seitdem wartet es auf dem Dachboden auf Besucher – wie die Dame aus Berlin, die vor kurzem vorbeikam.

Mit wachen Augen war die voriges Jahr auf Bernbachers Dachboden gekraxelt – vorbei an aufgestapelten „SPIEGEL“n. Und hatte zwischen alten Koffern jede Menge „politische Kostbarkeiten“ entdeckt: Wäschekörbe voll handgemalter Transparente aus grüner Gründungszeit. Dr. Sabine Vogel vom Historischen Museum nahm fünf davon kurzerhand in die Hauptstadt mit. Jetzt hängen sie in der Berliner Ausstellung „50 Jahre Einigkeit, Recht und Freiheit – Wege der Deutschen von 1949 bis 1999“ – im Ausstellungsraum zu „neuen sozialen Bewegungen Feminismus, Ökologie und Pazifismus“.

Grund der Ehre: Die Bremer zogen als erste Grüne 1979 in ein bundesdeutsches Parlament ein. Die damalige Gründungszentrale: Das Bernbachersche Haus, wo man als erste politische Aktion den Widerstand gegen den Bau vom Atomkraftwerk Esensham organisierte. Und dazu Anti-Akw-Plakate auf alte Tapeten malte, „weil wir doch alle kein Geld hatten“.

Aufbewahrt hat Gründungsfrau Bernbacher all diese Relikte aus Gründungszeiten – vom handbemalten Stoff-Fetzen bis zum gedruckten Plakat. „Ich dachte mir damals: Das kann ich doch nicht einfach wegschmeißen.“ Die Frau vom Historischen Museum, nach einiger Recherchearbeit auf Bernbachers Dachboden gestoßen, bestätigte die Grüne jetzt in dieser Entscheidung: Sie will mit der Bremerin sogar über Leihgaben weiterer Dachboden-Stücke für eine Daueraustellung verhandeln.

Denn was sich auf dem knarrigen Boden hinter dem wackligen Holzgeländer verbirgt, hat wahre Museusmreife: Die mit Bäumen und Vögeln handbemalten Stofftransparente zum grünen Wahlkampf hat das Historische Museum schon nach Berlin gerettet: Mit Parolen wie „Bremer, habt Mut – die Grünen sind gut“ oder „Esel, Hund ... Katz ... Hahn verfallen nicht dem Wachstumswahn“ stimmten die Grünen die Bremer 1979 auf die grüne Alternative ein. Später dann wurden die ersten Plakate gedruckt – auf dunklem grün ragt das als Po gezeichnete Atomkraftwerk Esensham in den Himmel. Titel: „Atomschiet ist für'n Mors“.

„Herrlich“, findet Sammlerin Bernbacher diese alten Plakatmotive. „Viel besser als das, was wir heute haben.“ Aber von Museumsreife der Grünen und überholten politischen Positionen will sie trotzdem nichts wissen: „Die Grünen werden immer die Mahner bleiben.“ Schließlich sei „die Politik richtig“, die „ökologische Frage die Frage der Zukunft“ – und das Umdenken in den Köpfen anderer nur eine Frage der Zeit. „Die SPD kann zum Beispiel nicht immer nur Ja zum Atomausstieg sagen, sie muß ihn auch machen.“ Auch wenn der grüne Umweltminister bislang nicht durchdrang: Was sind schon ein paar Regierungsmonate gegen 20 Jahre grüner Kampfeszeit?

Katja Ubben

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