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Ein Blaudrucker bei der ArbeitVom Leben mit Blau

Georg Stark färbt Stoffe und druckt Muster darauf. In Blau. Jeden Tag. In friesischen Jever arbeitet er in einem jahrhundertealten Handwerk: als Blaudrucker.

Ein 300 Jahre altes Holzmodel. Der Blaudrucker in Jever druckt noch damit. Bild: Blaudruckerei Jever

Das gibt er dann doch zu, irgendwann, ganz am Ende. Dass er sich manchmal wünscht, er wäre Lkw-Fahrer geworden. Als Lkw-Fahrer hätte er auf die Straße starren können, auf den Teer, das Grau, das ewige Grau. Eine Farbe, die ihm sonst so selten unterkommt. Eine Farbe, für die niemand ins Schwärmen gerät.

Aber jetzt setzt er erst einmal das Lächeln auf, das er auch beim Verkaufen benutzt: abrupt, aber ehrlich. "Komm'n Sie man rüber!" Georg Stark, 61, T-Shirt, Brille, Wanderstiefel, wischt die Hände an seiner Schürze ab, winkt mit blauen Fingerkuppen zu sich. "Rüber", das heißt an Seide, Batist und Baumwolle vorbei, an Tischdecken, Röcken und Gardinen, an Emaileimern und Flaschen, die mit "Phosphor" oder "Carbonic" beschriftet sind. Und das heißt an der breiten Theke vorbei, hinter der der Mann steht, der sein Geld mit Blau verdient wie andere mit Aktien.

"Ich rette Kulturgut", nennt das Stark. Seine Blaudruckerei ist eine der elf letzten in Deutschland, die – ohne Maschinen – Muster in Textilien prägt und mit eigenen Mischungen färbt. Blau färbt. Die Druckerei ist in Jever, dieser Stadt voller Zuckerhäuser nah der Nordsee, in einem Vorzeigezuckerhaus. Klein, versteckt gelegen, mit spitzem Giebel und aus Backstein. Innen zwei enge Räume, Möbel aus Holz, Stoffrollen, die sich in Ecken und Schubladen, auf Regalen und Kommoden stapeln, von Kur- und Strandurlaubern befühlt.

Stark rettet kultiviert, legt Bach, Vivaldi oder Mozart auf, oder, wie er sagt, "Musik vom Hofe des Sonnenkönigs". Er rollt weißes Leinen auf seine Arbeitsplatte, leise und sachte, greift nach einem Stück Holz, in das tausende hauchdünne Metallstifte gestanzt sind, und lässt es rhythmisch durch die Luft gleiten, als könne er damit Wellen schlagen. "Das ist ein Model", beginnt Georg Stark, er dehnt die Wörter, formuliert sie mit Genuss, "ein Druckstock. Ein Dekooor. Zweihundert Jahre alt. Aus Birnbaum. Birn-baum." Er runzelt die Stirn. "Nur mit den Augen anfassen!"

Das ist das Vorletzte, das er für die nächsten zehn Minuten sagt. Das Letzte ist: "Jetzt reden Sie mal nicht. Jetzt schauen Sie nur zu." Dann, mit ernstem Blick und gekrümmtem Rücken, tunkt Stark das Model in eine grüne Masse. Streift es an einem Stempelkissen ab. Presst es – behutsam, liebevoll – auf den weißen Stoff. Dreht einen Hammer um, klopft, kaum hörbar und mit dem Stiel nach unten, zwei Mal auf den Druckstock. Nimmt den Druckstock ab und besieht sich das Muster, das auf dem Tuch zurückgeblieben ist: Grüne Nelken. Stark nickt. Richtig so. Er murmelt: "Aus der Postkutschenzeit."

Das blaue Wunder

Eine Kundin, die in den Laden gekommen ist und Stark länger betrachtet als seine Ware, schüttelt den Kopf. Warum die Nelken da jetzt grün wären? Hier sei doch alles blau-weiß! Der Tischläufer für 33,50 Euro hier links. Der Kissenbezug für 29,50 Euro hier rechts. "Hach, blau-weiß!", stöhnt sie noch. Georg Stark sieht kurz hoch, fährt sich über den grauen Bart, und sieht wieder auf sein Tuch. Nimmt es, versenkt es in einem Bottich mit schwarzer Flüssigkeit, auf der eine Ölschicht schwimmt, und wartet.

Es würde noch eine Weile dauern, bis man sein blaues Wunder erleben würde. Und ja, die Redensart käme vom Blaudruck.

Stark erzählt nicht viel von den Anfängen, von 1985, den Freunden, die ihn beim Bier auf die Idee mit der Blaudruckerei gebracht hätten. Er hatte halt Geschichte studiert in Hannover, und er hatte Schlosser gelernt, wusste Theoretisches, konnte Praktisches.

Er erzählt auch nicht, wo er die 700 Modeln aufgetrieben hat, von denen er damals, 1985, nur vier hatte. Oder warum ihn ein Handwerk interessiert, das im 18. und 19. Jahrhundert seine Blütezeit erfuhr, danach durch Industrialisierung und Technisierung weitgehend vertrieben wurde. Wenn sich der Friese dazu äußert, dann im Konjunktiv oder so, als spreche er über jemand anderen. Er sagt: "Es ist gut, sich zu besinnen, wenn alles schneller und neuer wird." Er sagt: "Man könnte das als eine Gegenreaktion bezeichnen." Und er sagt: "Man könnte sagen, das sei eine Flucht vor der Wirklichkeit."

Georg Stark ist die Zeit davongerannt. Bis er sich geweigert hat, ihr hinterherzurennen. Stehen geblieben ist er dort, wo er jetzt auch noch steht, zwischen Antiquitäten und zerfledderten Büchern, in einem Raum, in dem die einzigen halbwegs modernen Utensilien aus Telefon, CD-Player und elektrischem Licht bestehen.

Barock, Jugendstil, Biedermeier

Wo es kaum auffällt, dass er nach dem Räuspern nicht "Tschuldigung" nuschelt, sondern "Ich bitte um Vergebung" haucht. Wo er Menschen, die sich über blaue Laken beugen, "Barock", "Jugendstil", "Biedermeier, 1820 bis 1840" zuruft, ihnen Geschichten von Piraten, Marco Polo und Kolumbus erzählen kann und davon, dass Europa den Blaudruck vor 400 Jahren entdeckte und sich nach Indigo aus Indien verzehrte. Wo er das Alte und das Feine ungestört ausleben, den Duft seiner Lavendelsäckchen einatmen, Crêpe-Georgette-Gewebe zwischen den Fingern reiben darf.

Zwei Touristen in roten Outdoorjacken streichen über einen Samtschal. Sie wirken wie Signalpunkte in Starks blauer, überholter Welt. Er grüßt mit kurzen Lächeln, wendet sich ab und nickt, doch, nachgedacht habe er schon mal über das Fremdgehen – das Rotfärben. "Das wäre eine Herausforderung." Zwanzig Arbeitsschritte, komplexe Chemie. Weitaus komplexer als das, was jetzt passiert.

Stark holt das Tuch aus dem Bottich, getränkt in Gelb und Grün, hängt es zum Trocknen auf. Binnen Minuten legt sich ein blauer Schleier über den Stoff, frisst das Gelbgrün von oben herab auf. "Da haben Sie Ihr blaues Wunder", sagt Stark. Die Wunderformel lautet H2SO4: Schwefelsäure, darin wurde das Tuch gewaschen. In Verbindung mit dem Lufttrocknen, also Sauerstoff, färbt sich der Stoff blau – und das Nelkenmuster, das vorher grün war, wird nun weiß.

Georg Stark verschwindet in der Werkstatt, einem Zimmer hinter dem Laden und hinter der Theke. Einem Zimmer mit Pfützen auf dem Boden, mit blauen Spritzern, die die Wand bis zum Fensterrahmen hochgeklettert sind, mit Urin- und Mottengeruch. Stark hat gezögert, "das müssen Sie nicht auch noch sehen" gesagt, den Gast schließlich doch in die Werkstatt gelassen. "Wer mag schon Schmutz", fragt er nun und schaut auf seine blauen Fingerkuppen.

Der Schmutz, der zum Handwerk gehört, ist nie Starks enger Freund geworden. Das Blau über die Jahre schon. Seine Ruhe und Melancholie, seine kühle Zurückhaltung. Es hat ein bisschen abgefärbt.

Ob er es nie satthat? "Na ja." Bei der Arbeit hätte er es gern um sich, das Blau. Nur manchmal, da überkäme es ihn, "verflucht noch mal, jetzt mach ich was anderes", würde er in solchen Momenten denken und die Streifen und Bordüren vergessen wollen, mitsamt den Schachbrettmustern und den Weinblättern und den Granatäpfeln und den Nelken. Um Spieleentwickler zu werden. Oder Lkw-Fahrer.

Herr Stark, was ist Ihre Lieblingsfarbe? "Grün." Antwortet er.

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1 Kommentar

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  • H
    Heidi

    Ein malerischer Artikel sozusagen, schön zu lesen, informativ. Dennoch fehlen Frau manche Informationen:wie behandelt man solche Stoffe, kann man sie waschen, färben sie, was kosten sie und wer kauft sie? Kann Mann davon leben von dem alten Handwerk? Fragen über Fragen, die nicht beantwortet werden. Es bleibt halt: ein malerischer Artikel.