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Eiken Bruhn über das Recht auf AbtreibungSchweigemarsch als Symptom

Eingeschränkt wird das Selbstbestimmungsrecht von Frauen in Deutschland vom Gesetz

Sie marschieren „für das Leben“, zeigen Ärzt*innen an, die ungewollt Schwangeren helfen, und manche von ihnen belästigen Frauen auf dem Weg zum Abtreibungstermin oder attackieren sogar Arztpraxen. Unschön, nervig, gefährlich.

Doch eingeschränkt wird das Selbstbestimmungsrecht von Frauen in Deutschland nicht von Ab­trei­bungs­gegner*innen – sondern vom Gesetz. Also letztendlich: Von Bundestagsabgeordneten, die seit 1995 akzeptieren, dass Schwangerschaftsabbrüche als Tötungsdelikt unter Strafe gestellt sind.

Man kann sich damit trösten, dass diese Straftaten unter bestimmten Voraussetzungen nicht geahndet werden. Eine Frau, die in Deutschland eine Schwangerschaft abbrechen möchte, kann dies tun. Das war es dann aber auch mit der Selbstbestimmung. Sie muss sich beraten lassen und eine Frist von drei Tagen einhalten. Und: Sie kann sich nicht unabhängig über Methoden und Adressen informieren – weil für eine Straftat nicht geworben werden darf. Sie muss in einigen Re­gio­nen 100 Kilometer und mehr fahren, weil Kliniken Abtreibungen nicht anbieten müssen: Eine Straftat ist keine Kassenleistung. Zudem erlaubt das Gesetz Ärzt*innen, die Teilnahme an dem Eingriff abzulehnen – davon machen jüngere Mediziner*innen zunehmend Gebrauch. Ihnen fehlt die politische Überzeugung älterer Kol­le­g*in­nen, die noch für das Recht auf Abtreibung demonstriert haben. Selbstredend wird das Thema nicht in der Ausbildung gelehrt – Straftaten gehören nicht ins Curriculum.

Solch eine Gesetzgebung trägt dazu bei, Frauen ein schlechtes Gewissen zu machen. Als würde der Mehrzahl die Entscheidung nicht schwer genug fallen, macht ihnen der Ablauf klar: Du begehst ein Unrecht und kommst gnadenvoller Weise noch einmal davon.

Dass der Paragraf 218 in dieser Form noch besteht, lässt nur einen Schluss zu: Diese Position ist Mehrheitsmeinung und Schweigemärsche nur deren extremster Ausdruck.

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