Eigeninitiative in der Fläche: „Früher war alles ausgebucht“

Im niedersächsischen Örtchen Kirchboitzen will eine eigens gegründete Genossenschaft die drohende Schließung der Gaststätte abwenden.

Will nicht länger vor leeren Barhockern ausharren: Noch-Inhaberin Annelie Rabe Foto: Andreas Scharpen

KIRCHBOITZEN taz | Die Leute von Kirchboitzen wollen ihre Kneipe retten. Die Gaststätte „Zum Domkreuger“ ist von der Schließung bedroht, denn Inhaberin Annelie Rabe möchte in Rente gehen. Einen Käufer hat sie für das Backsteinhaus mit dem großen Tanzsaal und der Bundeskegelbahn nicht gefunden. Bis jetzt: Am heutigen Freitagabend wollen einige der Kirchboitzener eigens für den Weiterbetrieb eine Genossenschaft gründen.

„Zentral“ sei die Gaststätte für das Dorf, das zum niedersächsischen Walsrode gehört, sagt Torsten Söder, einer der sieben Initiatoren der Genossenschaft. Neben dem dunklen Holztresen hängen alte Mannschaftsfotos des örtlichen Fußballvereins, Söder ist auf vier Bildern zu entdecken, als blonder Junge und jugendlich mit schulterlangem Haar. In einer Vitrine stehen Pokale der Landjugend – gewonnen im Volkstanz. Auch da war Söder dabei. Der 38-Jährige ist eng mit dem Lokal verbunden, das hier keiner beim offiziellen Namen nennt, sondern „Gaststätte Rabe“ – nach der Besitzerin. Söder hat seine eigene Hochzeit hier gefeiert, die Eltern ihre Silberne, die Großeltern die Goldene.

„Wir brauchen die Gaststätte“, sagt er, „um im Dorf Familienfeiern veranstalten zu können.“ Zwar gebe es noch ein anderes Restaurant, deutsche Küche, einen anderen Saal aber im ganzen Kirchspiel nicht: So nennen die Kirchboitzener ihre Kirchengemeinde, die sieben weitere Dörfer umfasst; Kirchboitzen ist der Mittelpunkt. Die Infrastruktur ist für ein Dorf mit nur noch 680 Einwohnern gar nicht mal schlecht: Supermarkt gibt es keinen, aber eine Tankstelle, eine Fahrschule und einen Arzt. Hinter dem kleinen Fußballplatz ist sogar noch eine Grundschule in Betrieb. „Das hier ist kein Schlafort“, sagt Söder, der sich politisch für die CDU engagiert. Trotzdem macht er sich Sorgen um sein Dorf. Die Bevölkerung wird älter. Die Jüngeren ziehen lieber in die Städte.

„Wir wollen auf Dauer attraktiv bleiben“, sagt Söder. Er setzt dafür auf Tradition: Die Gaststätte gibt es schon seit 280 Jahren, nicht zufällig steht sie direkt gegenüber der Kirche. „Früher war hier immer alles ausgebucht“, sagt Inhaberin Anneliese Rabe. In den 80er-Jahren lief das Geschäft so gut, dass sie zusammen mit ihrem inzwischen verstorbenen Mann den ehemaligen Kuhstall zum Saal ausbaute. Der sei „zum Teil gleich nach der Geburt“ für die Konfirmation reserviert worden, erinnert sich die 67-Jährige.

Ein Ort, an dem sich die Kirchboitzener zufällig über den Weg laufen, ist das Lokal nicht mehr. Erhalten werden soll es trotzdem

Irgendwann wurden die Gäste weniger, die Laufkundschaft blieb aus, auch die Kegelbahn lockte immer weniger Gruppen. Jetzt trinke nur noch ein Mann ein paar Mal die Woche am Tresen ein Weizen und einen Schnaps, sagt sie. Dazu kommen ein paar Familienfeste und Vereinssitzungen. Das reicht nicht mal, um eine Kellnerin fest anzustellen.

Ein Ort, an dem sich die Kirchboitzener zufällig über den Weg laufen, ist das Lokal nicht mehr. Erhalten werden soll es trotzdem: Söder und seine Mitstreiter, darunter der Ortsvorsteher, der Chef der Freiwilligen Feuerwehr und der Vorsitzende des Schützenvereins – überhaupt: alles Männer – träumen davon, dass das Lokal wieder zum Treffpunkt wird. Ein „Betreiber mit Esprit“ könnte das Tagesgeschäft wieder ankurbeln, hoffen sie. Ihr selbst, sagt Rabe, „fehlt dazu die Power“.

Allein können die Männer das Lokal nicht vor der Schließung bewahren: Der Kaufpreis liegt bei 235.000 Euro. Ein kleines Hotel mit neun Zimmern gehört dazu, beide Gebäude müssten mal renoviert werden: neue Leitungen, Dämmung, Fenster – eine Viertelmillion Euro, schätzt Söder. „Das muss auf viele Schultern verteilt werden“, sagt der Berufsschullehrer. Zur ersten Infoveranstaltung Anfang November kamen rund 120 Menschen. Bis heute haben sich mehr als 100 Unterstützer für Anteile vormerken lassen: Stück 2.500 Euro. Selbst hinterm Tresen stehen wollen die Genossen aber nicht: „Wir suchen einen Pächter“, sagt Söder, der zu dem Lokal passen müsse: „Es sollte keine Gourmet-Küche sein, mit kleinen Häufchen auf großen Tellern“, sagt Rabe. Geld verdient man hier mit Spargel- oder Grünkohlessen – halt nur nicht genug.

Um Gewinne gehe es auch gar nicht: „Wir wollen nur kein Geld verlieren“, sagt Söder. Gespräche mit der Kreissparkasse hat man schon geführt. Am heutigen Abend nun sollen die Satzung der Genossenschaft verabschiedet und ein Vorstand gewählt werden. Der eigentliche Kauf soll dann nächstes Jahr über die Bühne gehen – besiegelt mit einem Bier am eigenen Tresen.

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