Ehrgeiziges Programm für Japan: Weg vom alten Politik-System
Japans neue Regierung will Kindergeld einführen, die Schul- und Autobahngebühren abschaffen und ein Mindesteinkommen für die Bauern festsetzen.
TOKIO taz | Nach ihrem überwältigenden Sieg bei der Unterhauswahl will die Demokratische Partei (DPJ) in Japan möglichst rasch die Regierung übernehmen. Bereits nächste Woche soll die Koalition mit der Sozialdemokratischen Partei sowie der Neuen Volkspartei stehen. Der designierte Premierminister Yukio Hatoyama führte dazu am Montag erste Gespräche und beriet sich mit der Parteispitze.
Die DPJ verfügt zwar mit 308 der 480 Mandate über eine absolute Mehrheit im Unterhaus, braucht die kleineren Partner aber, um das Oberhaus zu kontrollieren. Sein Kabinett will Hatoyama bis Mitte September vorstellen.
Hatoyama steht wegen der scharfen Wirtschaftskrise unter großem Handlungs- und Zeitdruck. Nach der Erholung im zweiten Quartal droht eine neue Konjunkturdelle. Die Industrie produzierte im Juli nur noch 1,9 Prozent mehr als im Vormonat. Zugleich hatten die Arbeiter durch Lohnkürzungen 4,8 Prozent weniger in der Lohntüte als im Vorjahr.
Der Einzelhandel machte 2,5 Prozent weniger Umsatz. Die Arbeitslosigkeit steht auf dem Nachkriegshoch von 5,7 Prozent, während die Preise mit minus 2,2 Prozent so rasant fallen wie nie.
Hatoyama will die Kaufkraft der Verbraucher stärken und dadurch den Teufelskreis aus Arbeitslosigkeit, Deflation und Konsumstopp unterbrechen. Kindergeld, Abschaffung der Schul- und Autobahngebühren und ein Mindesteinkommen für Bauern sind geplant. Für die Mehrausgaben von jährlich rund 125 Milliarden Euro will die DPJ Ausgaben umschichten. Dafür sollen die Beamten ihre Kontrolle über die Finanzen an die Politiker abgeben.
Als Werkzeug im Kampf gegen die Bürokraten richtet die neue Regierung ein "Amt für nationale Strategie" ein, das Schlüsselpolitiken entwickeln soll. "Das große Experiment hat begonnen", kommentierte ein hoher Finanzbeamter, der anonym bleiben wollte, das Vorhaben. Die DPJ macht die Verfilzung zwischen Elitebeamten und der Liberaldemokratischen Partei (LDP) für die Stagnation verantwortlich.
Der Wahlsieg hat in Japan ein positives Echo ausgelöst. Die hohe Wahlbeteiligung von fast 70 Prozent wurde als Ausdruck eines starken Wechselwillens weg vom LDP-System und -Politikstil verstanden. Der Sieg sei die beste Chance, in eine neue Richtung zu gehen, schrieb die Asahi-Zeitung. Auch aus der Wirtschaft kam Unterstützung, obwohl die DPJ den Mindestlohn erhöhen und die Zeit- und Vertragsarbeit einschränken will. Das Volk wolle aus "harten wirtschaftlichen und stagnierenden sozialen Verhältnissen" ausbrechen, meinte Kaoru Yano, Chef des Elektronikkonzerns NEC.
Fujio Mitarai, Präsident des Wirtschaftsverbandes Keidanren, begrüßte das de facto Zweiparteiensystem. Im Unterhaus ist die LDP mit 119 Abgeordneten erstmals seit 54 Jahren nicht mehr stärkste Fraktion. Premier Taro Aso trat als Parteichef zurück und gestand, die LDP habe die sozialen Probleme vernachlässigt.
Auch Japans Bündnispartner USA reagierte freundlich. "Präsident Barack Obama freut sich auf eine enge Zusammenarbeit mit dem neuen japanischen Premierminister", verlautete in Washington. Zuvor hatte Hatoyama eine Neubewertung der Beziehungen gefordert und für eine Annäherung an Asien plädiert: "Die Partnerschaft muss besser und gleicher werden." So will die DPJ den verabredeten Neubau eines US-Militärflughafens auf Okinawa neu verhandeln. "Die USA werden die LDP bald vermissen", kommentierte ein US-Experte den neuen Tonfall.
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