: Egoverklemmung
Fixierte Bewegung: „Ecce@Ens“, Isabelle Schads und Ludger Lamers’ Improvisationstheater im Dock 11
Die Musik ist jeden Abend anders. Georg Zeitblom generiert und verändert die elektronischen Klänge am Sampler, wie sie ihm in den Sinn kommen. Vor Ort, während die anderen tanzen. „Ecce@Ens“, das neue Stück von Isabelle Schad und Ludger Lamers, hatte am Donnerstag im Dock 11 Premiere. Es ist ein Improvisationsstück mit Livemusik. Zeitblom war nur zweimal bei den Proben, es gibt kein festes Konzept.
Schad und Lamers, die im letzten Jahr am Dockj11 das Duett „X-Ray“ gemeinsam inszenierten, überzeugen durch die Intensität ihrer Darstellung und einen außergewöhnlichen formalen Einsatz. In dem Stück „Amorph erstarrte Schmelze“ von 1999 benutzten sie zerbrechliches Material, in „X-Ray“ integrierten sie elektronische Geräte in ihren Tanz. Beide suchen den Freiraum des Körperausdrucks, der außerhalb festgelegter Tanztechniken liegt. In ihrer aktuellen Arbeit, „Ecce@Ens“, gehen sie nicht von einer fertigen Choreografie, sondern vom Bewegungsmaterial der einzelnen Tänzer aus. „Das haben wir in den Proben zusammen weitergespielt. Die schönsten und interessantesten Bewegungen wurden dann fixiert und immer wiederholt. So ist das Stück entstanden“, erklärt Ludger Lamers.
In einer Viererkombination, die von den Tänzern Andreja Rauch und Aloiso Avaz komplettiert wird, fragen Schad und Lamers nach Praktiken des Zwischenmenschlichen. Sie bewegen sich in einer spartanischen Turnhalle mit Matten, Metallspinden, Bänken, einem Reck. An diesem Ort des Sports fechten die Figuren, in wechselnden Kombinationen und Solo-, Duo- und Trio-Phasen, ihre Beziehungskämpfe aus. Sie nähern sich an, stoßen sich ab, rivalisieren, fantasieren, wollen geliebt werden und bleiben doch in ihrer Egoverklemmung stecken.
Es ist ein Laufen, Springen, Drehen, Aneinanderklatschen, Fallen und Wiederaufstehen. Andreja Rauch stopft Äpfel in sich hinein, dass man vom bloßen Zuschauen satt wird. Schad, die Furie, wirft sich in Kleid und Absatzschuhen auf den Boden, dass die Knöchel bluten, oder springt Lamers in die Arme, der sie auffängt. Sie drehen sich zum Publikum und lächeln, wie Fred Astaire und Ginger Rogers. Die Bedeutung der kraftvoll getanzten Geschichte erschließt sich nicht, man ahnt, munkelt und interpretiert. So ist das wohl bei Improvisationen – vieles ist möglich. JANA SITTNICK
Heute und Sonntag, 20.30 Uhr, Dock 11, Kastanienallee 79, Prenzlauer Berg
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