Editorial: Die GründerInnen und ihre taz
40 Jahre taz-Nullnummer – und die Alten treten noch einmal an. Klingt nach Revival, nach taz-Gründung reloaded. Geht aber auch eine Nummer kleiner. Nennen wir es ein Klassentreffen mit dem Experiment, aus dem Stand noch einmal eine Zeitung zu basteln.
1978 sind wir angetreten, die Welt aus den Angeln zu heben. Mithilfe einer täglich erscheinenden Zeitung wollten wir sie neu justieren. Gerechter, friedlicher, weiblicher, freier, schöner – rundum besser sollte sie werden, radikal! Alles schien möglich – wir waren jung, wir wussten, wo es langgeht, wir hatten kein Geld, keine Erfahrung, aber jede Menge Utopien.
Heute rotiert die Welt mit beunruhigender Unwucht. Statt die bekannten Probleme zu lösen, schafft die Menschheit ständig neue. Wir blicken auf Veränderungen, die wir damals nie prognostiziert oder erahnt hätten: rasanter Klimawandel, islamistische Angriffe, entfesselte Finanzmärkte, globale Warenströme, digitale Vernetzung von Wissen und Menschen, obszöne Ungleichheit, übernutzte Ressourcen und – ganz aktuell – überwunden geglaubte rechtsnationalistische und rassistische Hetze.
Zugleich sind wir Zeugen spannender Errungenschaften: Wir sehen offen schwule Politiker, Regierungs- und Konzernlenkerinnen, abgaslose Autos, solare Großkraftwerke, demokratisierte Diktaturen, ein mauerfreies Deutschland, offene innereuropäische Grenzen, unbegrenzte Datenflüsse und – damals noch Widerspruch in sich – papierlose Zeitungen.
„Phantasie an die Macht!“ Klang super, die Parole vor 40 Jahren. Heute übertrumpft die Wirklichkeit oft unsere Fantasie. Wir, die wir die Welt verändern wollten, verstehen sie manchmal kaum noch. Für die Gründung einer „Weltveränderungs-Zeitung“ hätten wir kein Rezept mehr – und das ist gut so. Denn der jugendlich-linke Idealismus, der uns damals beflügelte, hat mit seiner politischen Selbstgerechtigkeit auch in manch ideologische Sackgasse geführt.
Mit dieser Ausgabe werden wir daher – anders als vor 40 Jahren – keinen radikalen Wurf in die Medienlandschaft lancieren. Aber wir werden das versuchen, was bis heute gute Tradition der taz ist: Horizonte erweitern durch Informationen, Köpfe bewegen mittels kontroverser Debatten, Mut und Frechheit wecken zum Handeln, Haltung stärken zum Widerstehen – bei denen, die heute so jung sind wie wir damals, und bei denen, die mit uns älter geworden sind und meinen, sich über nichts mehr empören zu müssen.
Auf der Strecke von der ersten Nullnummer der taz bis heute sind wir unterschiedliche, auch kontroverse Wege gegangen. Wir waren Chefredakteurinnen und Yogalehrer, Parlamentskorrespondentinnen und Redenschreiber, Frauenbeauftragte und Therapeuten, Banker und Buchautorinnen. Wir sind grauköpfiger geworden, faltiger, kantiger, gelassener, auch radikaler. Und ja, selbst wenn uns das uncoole Etikett nicht passt: Die meisten von uns sind inzwischen Rentner (geht ja auch ohne Lizenz zum Füßehochlegen).
Was uns jetzt noch einmal in der taz zusammengebracht hat, ist ein prägendes Stück Vergangenheit sowie die Lust und die Verantwortung, uns weiterhin einzumischen, die Zukunft nicht einfach machen zu lassen. Und nicht zuletzt ist es der Stolz, gemeinsam ein Projekt auf die Beine gestellt zu haben, das sich als unschlagbare Überlebenskünstlerin erwiesen hat: die taz.
Vera Gaserow war taz-Inlandsredakteurin bis 1991 und danach bei Zeit und FR
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