Editorial von Judyta Smykowski: Alles inklusive
Jetzt übernehmen wir, Menschen mit Behinderung, eine Zeitung. Das hatten wir uns zu Beginn dieses Vorhabens auf die Fahnen geschrieben. Voller Eifer und ein bisschen trotzig sagen wir: Jetzt zeigen wir es ihnen, also den Menschen ohne Behinderung. Wir ballen unsere Fäuste und strecken sie aus, wie Superman, wenn er fliegt.
Das ist der Duktus, der Reflex, den man haben kann, wenn es um solche Projekte geht. Leider gibt es in der Gesellschaft noch immer zu viel Trennung und Berührungsängste zwischen uns allen.
Wirkönnen aber gar nicht fliegen. Und außerdem sollten wir nicht von „wir“ und den „anderen“ sprechen. Es geht uns um Gemeinsamkeit, um beide Seiten, die irgendwie ein Ganzes werden sollen, eine Gesellschaft. Die Gemeinschaft war diese Woche in der taz spürbar. Ein Projekt der taz, des Onlineportals Leidmedien.de und von AutorInnen mit Behinderung auf der sagenumwobenen und viel geforderten Augenhöhe.
Behinderte Menschen waren die Ideengeber, die ChefInnen über die Texte und haben als FotografInnen Bilder zu dieser Ausgabe beigesteuert. So ist ein Perspektivwechsel gelungen.
Die Stammredaktion hat geholfen, die Inhalte in die taz zu bringen. Wir haben uns ausgetauscht, es war eine inklusive, also gemeinsame Medienarbeit, wie sie in Deutschlands Redaktionen immer noch zu selten stattfindet.
Heute kommen in dieser Zeitung Menschen mit Behinderung zu Wort. Sie haben alle eine Behinderung und werden behindert: von Stufen im Stadtbild oder von fehlenden Untertiteln im Fernsehen.
Sie erzählen aus ihrem Alltag; von Gesetzen, die sie in ihrer Selbstbestimmtheit gefährden, von der Liebe, die sie erleben, von behinderten ProtagonistInnen in TV-Serien, von Therapien, die sie quälen.
Morgen kann sich jeder in der Nachbarschaft umschauen, ob er oder sie behinderte Menschen kennt, ob sie Nachbarn, KollegInnen oder MitstreiterInnen im Sportverein sind. Nur wenn wir uns bewusst wahrnehmen, kann etwas Gemeinsames entstehen.
Wir alle haben die Rolle, bewusster einen Zusammenhalt zu schaffen – sich zu begegnen, sich auszutauschen. Im Büro oder beim Feierabendbier. Prost!
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