: Echte Zonis im Feindesland
Wenn Gregor Gysi in München redet, liegen ihm selbst schicke Damen mit weißen Handschuhen zu Füßen. Die PDS wählen sie deshalb noch lange nicht
aus München JENS KÖNIG
Manchmal muss man vielleicht gerade das tun, was nicht nahe liegt. Manchmal muss man, wenn man den großen Löwen erlegen will, aber so klein ist, dass es bestenfalls zum Mäusefangen reicht, sich unerschrocken geben und den Löwen in seiner Höhle jagen.
Die Genossen von der PDS haben sich gedacht, sie fahren einfach ins große München, pflanzen eine Bühne mitten ins Herz der Stadt und stellen ihren kleinsten Mann darauf. Dann lassen sie ihn ganz unerhörte Sachen sagen, auf dass seine Zuhörer erst ein bisschen erschrocken gucken, dann aber schließlich lachen, weil es lustig aussieht, wie der Mann da oben auf der Bühne seine wenigen Muskeln spielen lässt. Wie er versucht, den hiesigen übermächtigen Landesvater eigenhändig aufs Kreuz zu legen. Gregor Gysi steht da also im Zentrum der bayerischen Hauptstadt, vor dem Rathaus auf dem Marienplatz, und erklärt seinen zweitausend Zuhörern, es gebe nur einen sicheren Weg, um zu verhindern, dass Edmund Stoiber nicht nur in München, sondern auch noch in Berlin sein Unwesen treibt – nämlich seine Partei, die PDS, zu wählen.
Leibhaftigen Kommunisten seine Stimme schenken? Echten Zonis? In Bayern? Vermutlich kommt Gysi seine Aufforderung selbst ein wenig absurd vor. Da könnte er genauso gut den Menschen in New York empfehlen, am Ground Zero in Manhatten ein Taliban-Kulturzentrum zu errichten. Also gibt Gysi seinen Zuhörern auf dem Marienplatz noch ein paar Hilfestellungen, wie sie ihre ganz und gar abenteuerliche Entscheidung wenigstens vor sich selbst rechtfertigen könnten. „Mal angenommen, die PDS würde in München zehn Prozent der Stimmen gewinnen“, sagt Gysi. „Was glauben Sie, was dann passiert? Der Stoiber würde sich um Ihre Stadt kümmern wie nie zuvor in seinem Leben. Journalisten in der ganzen Welt würden sich fragen: O Gott, was ist bloß in München los? Die würden hierher kommen, um über Ihre Stadt zu schreiben, die würden hier essen, schlafen, einkaufen. Münchens Wirtschaft würde boomen. Wählen Sie PDS! So können Sie ganz konkret etwas für Ihre Stadt tun.“
Da kann einer Kommunist sein wie er will – an dieser Stellen klatschen und johlen sie auch in München. Hier können sie ja nicht wissen, dass Gysi mit diesem Standardwitz schon bei der letzten Bundestagswahl durch Deutschland tourte. Hier finden sie diesen kleinen Mann, den sie aus dem Fernsehen kennen, einfach intelligent und witzig. Dass er wegen ein paar falsch verflogener Bonusmeilen als Wirtschaftssenator in Berlin hingeschmissen hat, rechnen sie ihm eher positiv an, wo doch Politiker für gewöhnlich nicht mal mehr zurücktreten, wenn ihre Partei mit Millionenbeträgen geschmiert wird.
An diesem Freitagnachmittag, während des Einkaufsbummels, bleiben viele Münchener auf dem Marienplatz stehen und hören dem PDS-Mann zu. Und als Gysi mit seiner Rede fertig ist, kann man beobachten, wie ältere, gut gekleidete Herren und schicke Damen, die große Sonnenbrillen und weiße Handschuhe tragen, sich vor der Bühne drängeln. Sie wollen von dem einzigen Kommunisten der Welt, der sie zum Lachen bringt, unbedingt ein Autogramm ergattern. Als ein Mann im schmucken Janker am Ziel seiner Wünsche ist und aus der großen Traube um Gysi heraustritt, reckt er seine linke Faust in die Luft. „Ja!“, ruft er und zeigt seinem Freund aufgeregt seine Eroberung. „Ich hab’ ein Autogramm von Strauß, eins von Brandt und jetzt eins von Gysi.“
Vielleicht sind es ja gerade solche bizarren Szenen, die die Genossen in Berlin an das glauben lassen, was sie seit ein paar Tagen so betonen: Dass ihre PDS, die waschechte Ostpartei, die notwendigen Stimmen für den Einzug in den Bundestag diesmal ausgerechnet im Westen holen wird. Dort, wo sie 1998 nur schlappe 1,2 Prozent gewonnen hat. Dort, wo immer noch eher durchgeknallte Altlinke und idealistische Weltverbesserer das Bild der Partei bestimmen und nicht brave, pragmatische Basisarbeiter wie in Ostdeutschland. Am 22. September will die PDS im Westen durchschnitlich zwei Prozent der Stimmen holen. In Bayern zum Beispiel, wo die Partei ganze 600 Mitglieder hat, müssten die Genossen für ein solches Ergebnis rund 100.000 Stimmen gewinnen. 1998 waren es im Stoiber-Land 46.500 Stimmen; das entsprach einem Anteil von 0,9 Prozent.
Man muss nichts über Bayern wissen, um auf den ersten Blick zu erkennen, dass all diejenigen, die sich in München um ein Autogramm von Gysi reißen, die PDS niemals wählen werden. Noch eine Stunde vor Gysi haben Gabi Zimmer, die Parteichefin, sowie Eva Bulling-Schröter, die bayerische Spitzenkandidatin, mit ihrem ungelenken Auftritt auf dem Marienplatz das Stimmenergebnis der PDS ganz bestimmt nicht verdoppelt; sie haben es wahrscheinlich eher halbiert. Trotzdem behaupten beide hinterher tapfer, dass der Wahlkampf im Westen besser laufe als 1998. „Vor vier Jahren haben uns viele noch angebrüllt“, sagt Bulling-Schröter. „Geht doch nach drüben!, haben sie gerufen. Heute fragen viele nach unseren sozialpolitischen Konzepten.“
Die plötzliche, komische Fixierung der PDS auf den Westen ist ohnehin nur ihrer Angst geschuldet – der Angst, dass die Partei aus dem Bundestag fliegt. Dass die PDS dann zu einer ostdeutschen Schrumpfpartei wird. Dass die Orthodoxen in ihren Reihen dann wieder Oberwasser kriegen. Seit 1990 ist die PDS bei jeder Wahl größer und größer geworden. Jetzt läuft sie zum ersten Mal Gefahr, ausgerechnet in Ostdeutschland zu verlieren. In fast allen Umfragen liegt die Partei unterhalb der Fünfprozenthürde. In Ostdeutschland kommt sie momentan auf 18 Prozent; 1998 waren es noch 21,6 Prozent.
Gysis Rücktritt, Schröders klare Antikriegshaltung in bezug auf den Irak, die Hochwasserkatastrophe, bei der von der Ostpartei nicht viel zu sehen war, die Polarisierung zwischen Schröder und Stoiber – all das macht der PDS arg zu schaffen. Dazu kommt ihre strategische Unbestimmtheit. Erst lehnte die PDS-Vorsitzende die Unterstützung einer rot-grünen Regierung ab. Ein paar Monate später dann, als Rot-Grün in den Umfragen scheinbar aussichtslos hinten lag, bot die PDS-Führung Schröder plötzlich an, ihn zum Kanzler mitzuwählen, wenn er im Gegenzug ein paar Bedingungen erfüllte. Jetzt, wo die rot-grüne Koalition in den Umfragen vorne liegt, geht die PDS wieder auf Distanz. „Wer Stoiber nicht will und Schröder nicht traut, der muss PDS wählen“, heißt der neue Wahlslogan. Das klingt kompliziert. Aber Politik ist oft ganz schlicht. Wer Stoiber nicht will, der wählt möglicherweise einfach Schröder.
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