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EUROPAMINISTERIUM: ES BESTEHT NOCH ERHEBLICHER DISKUSSIONSBEDARFSchröders Stiefkind

Eine Herzenssache ist die Europapolitik dem Bundeskanzler nie gewesen. Daran scheint sich nichts geändert zu haben, wie die staubtrockene Regierungserklärung zeigt, die Gerhard Schröder anlässlich des jüngsten EU-Gipfels gestern im Parlament ablieferte. Also muss es andere Gründe dafür geben, dass der Kanzler jetzt die Einrichtung eines Europaministeriums wünscht und das offenbar auch gerne in der Regierungszentrale angesiedelt sähe. Vielleicht spricht sachlich manches dafür?

Es ist eine Binsenweisheit, dass die Europapolitik in vielen Bereichen zur Innenpolitik geworden ist und die Außenminister die ihnen zugewachsenen Aufgaben kaum noch zu bewältigen vermögen. Koordination tut Not. Hinzu kommt, dass Mitarbeiter des Außenministeriums zu Recht seit langem klagen, ihr Tätigkeitsfeld verlagere sich immer mehr von der Diplomatie zum Wirtschaftslobbyismus. Das gilt zwar nicht nur für den EU-Raum, aber es wäre vermutlich hilfreich, wenn sich das Außenministerium wenigstens dort nicht mehr um Industriepolitik zu kümmern hätte. Schließlich gibt es auch innerhalb der Europäischen Union noch genug politische Aufgaben für Diplomaten.

Da aber liegt der Hase im Pfeffer: Welche Kompetenzen soll ein Europaminister haben? Überwiegend wirtschaftspolitische? Oder auch verteidigungspolitische und verfassungsrechtliche? Wann hat der Außenminister das Sagen, wann der Europaminister? Jedes Amt schafft neue Begehrlichkeiten, aber es ist nicht einzusehen, weshalb eine präzise Arbeitsteilung im europapolitischen Bereich nicht ebenso gut möglich sein sollte wie im innenpolitischen. Darüber muss dann jedoch geredet werden. Bisher ist das nicht der Fall.

Joschka Fischer könnte auf den Bereich der europäischen Industriepolitik vermutlich relativ leichten Herzens verzichten, legte nicht der Gang der Diskussion den Verdacht nahe, er solle auf dem Gebiet entmachtet werden, das ihm zweifellos am wichtigsten ist: dem der europäischen Integration. Nun lässt sich der Sinn oder Unsinn einer Abgrenzung verschiedener Arbeitsbereiche innerhalb einer Regierung nicht an Personen festmachen. Vielleicht heißt ja der nächste Außenminister Guido Westerwelle. Was weiß der bisher von Europa?

Der bisherige Verlauf der Debatte ist allerdings lediglich Wasser auf die Mühlen der Opposition, die begeistert sein dürfte, wenn die Regierung – indirekt – selbst Versäumnisse einräumt. In der Sache liegt Schröder vermutlich richtig. Aber er hat für diese Diskussion den falschen Zeitpunkt gewählt. Es sei denn, ihm liegt an der Beschädigung des Koalitionspartners. Angesichts aller Umfragewerte wäre das irrational. BETTINA GAUS

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