EU vertagt Abgasgrenzwerte: Automobilindustrie wird geschont
Das EU-Parlament vertagt strikte PkW-Abgasgrenzwerte auf 2015. Man will den Konzernen nicht zu viel zumuten. Umweltschützer schreiben Protestbriefe.
BRÜSSEL taz Neue Schonfrist für die Autoindustrie: Mit einer überwältigenden Mehrheit von 607 Stimmen sprach sich das EU-Parlament gestern in Straßburg dafür aus, die neuen Grenzwerte für den CO2-Ausstoß bei Pkw erst ab 2015 zu verlangen. Durchschnittlich 125 Gramm pro Kilometer dürfen es dann sein, gestaffelt nach Wagengewicht. Die EU-Kommission will 120 Gramm ab 2012 erreichen. Lediglich die Grünen stimmten gegen die verwässerten Zielvorgaben, die sich in einem Bericht zum Maßnahmenpaket CARS 21 verstecken.
CARS 21 soll die europäische Automobilindustrie fit machen für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Interessenvertreter der betroffenen Industriezweige, Verbraucherschützer, Umweltverbände und Politiker arbeiteten gemeinsam an dem Bericht, der schon im Dezember 2005 fertig wurde. Die EU-Kommission brauchte allerdings mehr als ein Jahr, um daraus eine Strategie zu entwickeln.
Denn hinter den Kulissen wurde heftig darüber gestritten, ob Umwelt- oder Wettbewerbsaspekte im Vordergrund stehen sollen. Dieser Streit setzt sich nun im Europaparlament fort.
CARS 21 befasst sich mit allen Aspekten des Individualverkehrs - von dem Verbot der Kuhfänger, den Frontschutzbügeln an Autos über internationale Sicherheitsstandards bis hin zur Förderung der Forschung. Doch die Abgeordneten debattierten vor allem über die Frage, welche Belastungen der Automobilindustrie zuzumuten sind und wie die Einsparziele beim Klimaschutz auf die Hersteller verteilt werden sollen.
Mit einem griffigen Beispiel heizte Industriekommissar Günter Verheugen die deutsch-französische Sozialneiddebatte wieder an. "In Frankreich gibt es Menschen, die in Schlössern wohnen und sehr viel Energie brauchen, um sie zu beheizen!", rief er den Abgeordneten zu. "Und es gibt Menschen unter den Brücken, die überhaupt keine Heizung haben!" Frankreichs Präsident begebe sich mit seiner Argumentation, man erwerbe mit einem großen Auto nicht gleichzeitig das Recht, mehr Dreck zu machen, auf gefährliches Pflaster. Nicholas Sarkozy hatte in einem Brief an Kommissionspräsident José Manuel Barroso verlangt, dass die Spritschlucker der sogenannten Premiumklasse, die hauptsächlich in Deutschland hergestellt werden, ihren CO2-Ausstoß deutlich mehr verringern müssten als die jetzt schon sparsamen Kleinwagen aus Frankreich. "Diese Argumentation erscheint auf den ersten Blick sehr schlüssig, bedeutet aber, dass wir auf dem Umweg über die CO2-Frage zu einer tief greifenden Lifestyle-Regulierung in Europa kommen", unkte Verheugen.
Der grüne Abgeordnete Claude Turmes dagegen erinnerte daran, dass es bereits jetzt weltweit 700 Millionen Pkw gebe, die alle bei einem Ölpreis von 100 Dollar pro Barrel betankt werden müssten. Deutsche Zwei-Tonnen-Limousinen seien nicht mehr wettbewerbsfähig. Auch Biosprit helfe da nicht weiter.
Am Vortag war eine Studie der Gemeinsamen Forschungsstelle der EU-Kommission bekannt geworden, in der das CO2-Einsparpotenzial von Biosprit bezweifelt wird. Die von der EU-Kommission vorgeschlagene Beimischung von 10 Prozent Biotreibstoff sei außerdem teuer und schaffe keine neuen Arbeitsplätze. Biomasse solle "dort eingesetzt werden, wo sie am effizientesten ist" - und das sei in Heizkraftwerken. Auch Wissenschaftler der britischen Royal Society sind der Ansicht, dass die EU ihren Klimazielen mit Biosprit nicht näher kommt.
17 Umweltverbände veröffentlichten am vergangenen Freitag einen Brief an Energiekommissar Andris Piebalgs. Die geplante Gesetzgebung zum Klimaschutz fördere Biosprit ohne Rücksicht auf mögliche Umweltschäden. Wenn die Kriterien für die Herstellung nicht verschärft würden, müsse die EU-Kommission ihr Vorhaben ganz aufgeben, verlangen die Verbände. Am 23. Januar, wenn die EU-Kommission ihr Klimapaket vorlegt, wird sich zeigen, ob die Warnungen gehört worden sind.
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