EU plant Wende in der Klimapolitik: Kostenfrage statt Umweltschutz
Die Regierungschefs beraten auf ihrem Gipfel über hohe Energiekosten. Aber schaden die der Wirtschaft Europas wirklich?
BERLIN taz | Unter dem Druck von Industrielobbyisten bereitet die EU-Kommission eine grundlegende Wende in der Energiepolitik vor. Wegen der Rezession in vielen Staaten der Union sollen die Staats- und Regierungschef der EU an diesem Mittwoch bei ihrem Gipfel in Brüssel einen Paradigmenwechsel vornehmen.
Erstmals geht es bei einem Treffen zu diesem Thema nicht mehr vorrangig um Ziele wie den Klimaschutz, sondern um zu hohe Energiekosten. Die Preise seien ein „entscheidendes“ Wettbewerbshindernis, findet Kommissionspräsident José Manuel Barroso.
Sein Kurs ist allerdings auch intern hoch umstritten. Es sei „verantwortungslos“, den Umweltschutz kurzfristigem Wirtschaftserfolg zu opfern, so Klimakommissarin Connie Hedegaard. Man dürfe „den Begriff der Wettbewerbsfähigkeit nicht zu eng definieren“. Als abschreckendes Beispiel verwies sie auf smogverpestete chinesische Großstädte.
Europas Grüne sprechen von einer „Rolle rückwärts in die Vergangenheit“, auch Experten halten den Vorstoß für verfehlt: Er sei skeptisch, ob allein günstige Energiepreise dem siechen Kontinent aus der Krise helfen können, sagt Michael Schlesinger, Chefökonom des Prognos-Instituts. „Es gibt viele Gründe, warum es im Moment nicht gut läuft.“ Der Strompreis sei nur einer davon. Im Maschinenbau zum Beispiel sei „Energie gar nicht der Kostentreiber“.
Klimaschutz
Doch wegen der Konjunkturschwäche in vielen EU-Staaten hat Klimaschutz für die Kommission keine Priorität mehr. Das einstige Ziel, im Jahr 2020 ein Fünftel des Energiebedarfs aus Erneuerbaren zu gewinnen, ist in die Ferne gerückt. Unterstützt wird die Behörde durch ein Papier des mächtigen europäischen Industrieverbands Business Europe. Danach sind die Energiekosten für Europas Konzerne 1,5- bis 3-mal höher als in den USA.
Wenn in Europa bis zu 400.000 neue Jobs im produktionsnahen Bereich geschaffen werden sollten, müsse die EU „ihre Klimaschutz- und Energiepolitik umbauen“, sagt Europe-Business-Präsident Jürgen Thumann. Das will auch Energiekommissar Günther Oettinger. Ihm geht es um geringere Subventionen für erneuerbare Energien – Oettinger hält sie für wettbewerbsverzerrend.
Beim Gas profitieren die US-Amerikaner derzeit von günstigen Preisen durch die Ausbeutung ihrer Schiefergasvorkommen durch das umstrittene Fracking. Beim Strom ist für viele Unternehmen der Abstand nicht ganz so groß – das hängt hierzulande auch mit den Ausnahmen bei der Umlage für Erneuerbare zusammen. Laut Kommission sind die Energiepreise seit 2005 im EU-Schnitt um 37 Prozent gestiegen, in den USA sogar leicht gesunken.
Konkret schlägt EU-Gipfelchef Herman Van Rompuy vor, einen Energie-Binnenmarkt schaffen. Wenn sich die EU-Konzerne als Verbund organisierten, würde dies jährlich 30 Milliarden Euro einsparen. Zudem will die Kommission Investitionen in die Infrastruktur erleichtern und Strom- und Gasnetze über nationale Grenzen hinweg verknüpfen. Laut Van Rompuy kostet das bis zum Jahr 2020 rund 200 Milliarden Euro.
Versorgungssicherheit
Weiteres Gipfelthema ist die Versorgungssicherheit. Die Importabhängigkeit Europas steigt – und wird bei Öl und Gas etwa im Jahr 2035 mehr als 80 Prozent betragen. Mehrere Staaten decken ihren Bedarf fast nur über einen einzigen Versorger: So zahlt Bulgarien, das russisches Gas bezieht, fast doppelt so viel wie Deutschland, dessen Energiemix vielfältiger ist.
Direkte Auswirkungen des Gipfels auf die Energiepreise sind vorerst nicht zu erwarten, zu groß sind die Anforderungen an die „neue“ EU-Energiepolitik. „Strompreise werden nicht von den Staats- und Regierungschefs festgelegt, sondern am Markt gebildet“, sagt ein EU-Diplomat.
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