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EU-Mercosur-Abkommen„Das bevorzugt ganz klar die Interessen Europas“

Der neue Freihandelsvertrag zwischen EU und lateinamerikanischer Wirtschaftsorganisation steht. Umweltschützer und Entwicklungsexperten jubeln nicht.

Der Amazonas-Regenwald am brasilianischen Porto Velho: Bringt das neue Freihandelsabkommen mehr Abholzung? Foto: Fernanda Souza/ZUMA Press Wire/dpa

Buenos Aires taz | Am Ende ging alles ganz schnell. Auf einer kurzen Konferenz verkündeten Uruguays Präsident Luis Lacalle Pou und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Freitag die Einigung auf ein Freihandelsabkommen zwischen der südamerikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Mercosur und der Europäischen Union. Anwesend waren auch die Präsidenten aus Argentinien, Brasilien und Paraguay, von denen jedoch keiner das Wort ergriff.

In seiner kurvenreichen und knappen Eröffnungsrede nannte der alles andere als zufrieden wirkende Gastgeberpräsident Lacalle Pou das Abkommen einen „Ausgangspunkt“. Nun gelte es, „hart zu arbeiten“, um es in die Praxis umzusetzen. Schließlich räumte er „unterschiedliche Ansichten“ auch unter den Mercosur-Staaten ein. „Es ist keine magische Lösung, aber eine Chance“, so Lacalle Pou.

Ebenso nebulös blieb EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die von einem „historischen Meilenstein“ und einem Zeichen von Gemeinsamkeit an eine „zunehmend konfrontative Welt“ sprach.

Was folgte, war ein kurzes Händeschütteln aller Beteiligten, bevor die EU-Kommissionspräsidentin zum bereitstehenden Auto ging und davonfuhr. Freude nach über 25 Jahren Verhandlungen sieht anders aus.

„Kann zu verstärkter Abholzung führen“

Lateinamerikanische Umweltschützer äußerten sich kritisch. „Dieses Abkommen fördert die Einfuhr hochgradig umweltschädlicher und gesundheitsgefährdender Produkte, die bald auf dem europäischen Markt verboten sein werden“, kommentierte etwa Carolina Pasquali, die Chefin von Greenpeace in Brasilien.

„In der Praxis kann es zu einer verstärkten Abholzung der Wälder führen“, so die Umweltschützerin, „da wir Rohstoffe – die häufig aus abgeholzten Gebieten, einschließlich des Amazonas, stammen – gegen die Einfuhr von Pestiziden, Autos, Verbrennungsmotoren und Kunststoffen eintauschen.“ Besorgniserregend sei auch, dass die Verhandlungen über das Abkommen als Verhandlungsmasse genutzt worden seien, um das Entwaldungsgesetz der Europäischen Union zu verzögern und zukünftig flexibler zu gestalten.

Auch Sven Hilbig vom evangelischen Hilfswerk Brot für die Welt kritisiert das Abkommen: „Das Handelsabkommen bevorzugt ganz klar die ökonomischen Interessen Europas“, so der Experte für Handelspolitik. „Die südamerikanischen Mercosur-Staaten werden weiterhin auf die Rolle als Rohstofflieferanten reduziert.“

Anstatt den politischen Spielraum der südamerikanischen Regierungen zu erweitern, um lebensbedrohliche Krisen wie dem Klimawandel und dem Artensterben zu begegnen und die Armut in der Region zu beseitigen, schränke der Vertrag eine sozial und ökologisch nachhaltige Wirtschaftspolitik im Mercosur ein, meint Hilbig. „Das Abkommen nimmt den Mercosur-Staaten wichtige industriepolitische Instrumente“, sagte er. „Sie können etwa keine Exportsteuern auf Lithium und andere Rohstoffe erheben. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie im EU-Rat gegen das Handelsabkommen stimmt.“

Was am Freitag in Montevideo vereinbart wurde, hat einen langen Weg bis zu seiner tatsächlichen Umsetzung. Zunächst wird der Wortlaut des Abkommens von beiden Seiten juristisch überprüft und dann in die jeweiligen Amtssprachen übersetzt werden. Im Falle des Mercosur in Spanisch und Portugiesisch und im Falle der EU in die 24 Amtssprachen. Erst dann kann das Abkommen unterzeichnet werden.

Anschließend steht die Ratifizierung an. Innerhalb des Mercosur muss das Abkommen von den Parlamenten aller Mitgliedsländer gebilligt werden. In der EU muss es von Brüssel sowie von allen 27 Mitgliedsstaaten ratifiziert werden.

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10 Kommentare

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  • Argumente der Gegner des Abkommens sind alle in die Richtung das dadurch es der Natur, den Tieren und Menschen schlechter gehen wird. Menschen ausgebeutet, Lebensraum verdrängt, sowie Natur abgeholzt und vergiftet. Als würde das alles nicht auch ohne diesem Abkommen super funktionieren.



    Und die Befürworter blenden eben dieses total aus.



    Die europäische Wirtschaft braucht Märkte zum Produzieren, Importieren und Exportieren damit wir in unseren ruhigen Minuten hier im I-net unsere Gedankensoße laufen lassen können.

  • Freihandelsabkommen werden von europäischen Linken und Ökos zuverlässig abgelehnt. Warum eigentlich? Ist die Idee eines freien Handels an sich schon verwerflich, oder geht es um konkrete Risiken?



    Falls Letzteres zutrifft, wäre es konstruktiver, diese Risiken zu minimieren, das Abkommen grundsätzlich aber zu begrüßen.



    Schließlich ist es ein Wegfall von Einschränkungen.

    • @C. Avestruz:

      Bei sorgfältigem Studium der Nachrichten findet man sehr schnell, dass genau das die Forderung von "Linken und Ökos" ist. Man übersieht das jedoch gerne, wenn man es nicht sehen will...

  • Die Nachricht zum Abkommen in der Tagesschau war ja auch typisch: Endlich haben 'wir' einen Markt, wo es noch Chancen gibt, 'unseren' Überschuss an Blech in Form von VW & Co einzutauschen gegen billiges Rindfleisch ! Und gefügige Politiker, die in Argentinien und Anderswo ihren Staat ruinieren, helfen mit bei diesem unfairen Handel, der die landwirtschaftlichen Produzenten Hüben wie Drüben in die Armut treibt, obwohl zum Essen eigentlich henug für Alle da wäre. Die goldenen Kälber Blech, IT und ein immer mehr an Industrialisierung machen nicht reicher, sondern immer abhängiger von einem sich selbst zerstörenden Wirtschaftssystem, wenn sich niemand mehr die immer teurer werdenden und nur noch Ressourcen verbrauchenden Industrieprodukte leisten kann, weil Menschen, die versorgt werden müssten, in diesem Prozess eigentlich nicht mehr vorkommen. Es geht nicht nur um die Existenz der protestierenden Landwirte, sondern genauso um die (hierzulande) im Produktionsprozess freigesetzten 'Mitarbeiter'. Es ist das Versagen einer 'Wirtschaftswissenschaft' , die immer nur die Interessen des Großkapitals im Blick hat, statt die einer solidarischen Gesellschaft.

  • Sehr einseitig. Nur Lobbyisten einer Interessenssphäre kommen zu Wort. Auf der Strecke bleiben Informationen zur Übersicht des Themenblocks.

  • Der Unmut von Umweltschützern und Entwicklungsexperten ist vollkommen berechtigt. Auch bei diesem Abkommen geht es in allererster Linie um die Profite der europäischen Wirtschaft/Konzerne. Solche "Frei"-Handelsabkommen bestehen zuhauf mit Ländern etwa in Afrika - und helfen kräftig, die dortigen Resourcen auszubeuten, genauso wie die Bevölkerung. Ärgerlich ist nur, dass der Flüchtlingsstrom die EU dann doch wieder Geld kostet indem man hier Zäune hochzieht. Doch auch davon profitieren ja Wirtschaftsunternehmen. Klima- und Umweltschutz? Das ist lästige Spinnerei von Wissenschaft und engagierter Bürger*innen.

  • Nur wenn Schiedsgerichte für Konzerne verhindert werden und Umweltstandards eingehalten ist das akzeptabel. Greenpeace sagt: www.energiezukunft...n-ist-rechtswidrig

  • Immerhin ist es ein Startpunkt zur weiteren Entwicklung zwischen demokratischen Staaten mit rechtsstaatlichem Rahmen. Wäre den Aktivisten ein Abkommen mit Xina als Alternative lieber gewesen?

    • @vieldenker:

      Im Grunde ist es logisch und nicht erstaunlich, dass jene die sich berufen fühlen täglich so viel wie möglich und zu jeder Themenlage hinzuzusenfen, entweder Nichtssagendes oder Kopfschütteln auslösendes beitragen. In diesem Sinne, werte(r) Vielschreiber: Mal die Egobremse zu ziehen, wäre ein förderliches Mittel.



      Und was den „Startpunkt“ betrifft: Ja, für eine kaum verkleidete Neokolonialismusauflage, auf dass es bei uns – auf Abya Yala – noch mehr Pestizide (die bei Euch längst verboten sind) regne, und noch wahnwitziger abgeholzt werde, damit ihr zu Eurem zollfreien Lithium und Rindfleisch kommt.

    • @vieldenker:

      Selbstverständlich. China ist auf der Welt wichtiger als Südamerika und lässt sich nicht so leicht übers Ohr hauen. Ein Abkommen mit China wäre also sehr viel anspruchsvoller.